Seite:Kant Critik der reinen Vernunft 575.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
575 II. Absch. Vom transscend. Ideal. 575

einen blossen Mangel bedeutet und, wo diese allein gedacht wird, die Aufhebung alles Dinges vorgestellt wird.

 Nun kan sich niemand eine Verneinung bestimt denken, ohne daß er die entgegengesezte Beiahung zum Grunde liegen habe. Der Blindgebohrne kan sich nicht die mindeste Vorstellung von Finsterniß machen, weil er keine vom Lichte hat; der Wilde nicht von Armuth, weil er den Wohlstand nicht kent[1]. Der Unwissende hat keinen Begriff von seiner Unwissenheit, weil er keinen von der Wissenschaft hat, u. s. w. Es sind also auch alle Begriffe der Negationen abgeleitet, und die Realitäten enthalten die Data und so zu sagen die Materie, oder den transscendentalen Inhalt, zu der Möglichkeit und durchgängigen Bestimmung aller Dinge.

 Wenn also der durchgängigen Bestimmung in unserer Vernunft ein transscendentales Substratum zum Grunde gelegt wird, welches gleichsam den ganzen Vorrath des Stoffes, daher alle mögliche Prädicate der Dinge genommen werden können, enthält, so ist dieses Substratum nichts anders, als die Idee von einem All der

Rea-

  1. Die Beobachtungen und Berechnungen der Sternkundiger haben uns viel bewundernswürdiges gelehrt, aber das Wichtigste ist wol, daß sie uns den Abgrund der Unwissenheit aufgedekt haben, den die menschliche Vernunft, ohne diese Kentnisse, sich niemals so groß hätte vorstellen können, und worüber das Nachdenken eine grosse Veränderung in der Bestimmung der Endabsichten unseres Vernunftgebrauchs hervorbringen muß.
Empfohlene Zitierweise:
Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_575.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)