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584 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. 584

blosses Selbstgeschöpf ihres Denkens so fort vor ein wirkliches Wesen anzunehmen, wenn sie nicht wodurch anders gedrungen würde, irgendwo ihren Ruhestand, in dem Regressus vom Bedingten, das gegeben ist, zum Unbedingten zu suchen, das zwar an sich und seinem blossen Begriff noch nicht als wirklich gegeben ist, welches aber allein die Reihe der zu ihren Gründen hinausgeführten Bedingungen vollenden kan. Dieses ist nun der natürliche Gang, den iede menschliche Vernunft, selbst die gemeineste nimt, obgleich nicht eine iede in demselben aushält. Sie fängt nicht von Begriffen, sondern von der gemeinen Erfahrung an, und legt also etwas Existirendes zum Grunde. Dieser Boden aber sinkt, wenn er nicht auf dem unbeweglichen Felsen des Absolutnothwendigen ruhet. Dieser selber aber schwebt ohne Stütze, wenn noch ausser und unter ihm leerer Raum ist, und er nicht selbst alles erfüllet und dadurch keinen Platz zum Warum mehr übrig läßt, d. i. der Realität nach unendlich ist.

 Wenn etwas, was es auch sey, existirt, so muß auch eingeräumt werden, daß irgend etwas nothwendigerweise existire. Denn das Zufällige existirt nur unter der Bedingung eines anderen, als seiner Ursache und von dieser gilt der Schluß fernerhin, bis zu einer Ursache, die nicht zufällig und eben darum ohne Bedingung nothwendigerweise da ist. Das ist das Argument, worauf die Vernunft ihren Fortschritt zum Urwesen gründet.

Nun
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_584.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)