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586 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. 586

thun kan, der, weil er mangelhaft und der Ergänzung bedürftig ist, kein solches Merkmal der Unabhängigkeit von allen ferneren Bedingungen an sich zeigt. Es ist wahr, daß hieraus noch nicht sicher gefolgert werden könne: daß, was nicht die höchste und in aller Absicht vollständige Bedingung in sich enthält, darum selbst seiner Existenz nach bedingt seyn müsse; aber es hat denn doch das einzige Merkzeichen des Unbedingten Daseyns nicht an sich, dessen die Vernunft mächtig ist, um durch einen Begriff a priori irgend ein Wesen als unbedingt zu erkennen.

 Der Begriff eines Wesens von der höchsten Realität würde sich also unter allen Begriffen möglicher Dinge zu dem Begriffe eines unbedingtnothwendigen Wesens am besten schicken und, wenn er diesem auch nicht völlig gnug thut, so haben wir doch keine Wahl, sondern sehen uns genöthigt, uns an ihn zu halten, weil wir die Existenz eines nothwendigen Wesens nicht in den Wind schlagen dürfen; geben wir sie aber zu, doch in dem ganzen Felde der Möglichkeit nichts finden können, was auf einen solchen Vorzug im Daseyn einen gegründetern Anspruch machen könte.

 So ist also der natürliche Gang der menschlichen Vernunft beschaffen. Zuerst überzeugt sie sich vom Daseyn irgend eines nothwendigen Wesens. In diesem erkennet sie eine unbedingte Existenz. Nun sucht sie den Begriff des Unabhängigen von aller Bedingung und findet

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_586.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)