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602 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. 602

zu erweitern. Sie vermag nicht einmal so viel, daß sie uns in Ansehung der Möglichkeit eines Mehreren belehrete. Das analytische Merkmal der Möglichkeit, das darin besteht, daß blosse Positionen (Realitäten) keinen Widerspruch erzeugen, kan ihm zwar nicht gestritten werden; weil aber die Verknüpfung aller realen Eigenschaften in einem Dinge eine Synthesis ist, über deren Möglichkeit wir a priori nicht urtheilen können, weil uns die Realitäten specifisch nicht gegeben sind und, wenn dieses auch geschähe, überall gar kein Urtheil darin statt findet, weil das Merkmal der Möglichkeit synthetischer Erkentnisse immer nur in der Erfahrung gesucht werden muß, zu welcher aber der Gegenstand einer Idee nicht gehören kan, so hat der berühmte Leibnitz bey weitem das nicht geleistet, wessen er sich schmeichelte, nemlich eines so erhabenen idealischen Wesens Möglichkeit a priori einsehen zu wollen.

 Es ist also an dem so berühmten ontologischen (cartesianischen) Beweise, vom Daseyn eines höchsten Wesens aus Begriffen, alle Mühe und Arbeit verloren und ein Mensch möchte wol eben so wenig aus blossen Ideen an Einsichten reicher werden, als ein Kaufmann an Vermögen, wenn er, um seinen Zustand zu verbessern, seinem Cassenbestande einige Nullen anhängen wolte.





Des
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_602.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)