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644 Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. III. Hauptst. 644

also eigentlich nur den Verstand und dessen zweckmässige Anstellung zum Gegenstande und, wie dieser das Mannigfaltige im Obiect durch Begriffe vereinigt, so vereinigt iene ihrer Seits das Mannigfaltige der Begriffe durch Ideen, indem sie eine gewisse collective Einheit zum Ziele der Verstandeshandlungen sezt, welche sonst nur mit der distributiven Einheit beschäftigt sind.

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 Ich behaupte demnach: die transscendentale Ideen sind niemals von constitutivem Gebrauche, so, daß dadurch Begriffe gewisser Gegenstände gegeben würden und in dem Falle, daß man sie so versteht, sind es blos vernünftelnde (dialectische) Begriffe. Dagegen aber haben sie einen vortreflichen und unentbehrlichnothwendigen regulativen Gebrauch, nemlich den Verstand zu einem gewissen Ziele zu richten, in Aussicht auf welches die Richtungslinien aller seiner Regeln in einen Punct zusammen laufen, der, ob er zwar nur eine Idee (focus imaginarius), d. i. ein Punct ist, aus welchem die Verstandesbegriffe wirklich nicht ausgehen, indem er ganz ausserhalb den Gränzen möglicher Erfahrung liegt, dennoch dazu dient, ihnen die größte Einheit neben der größten Ausbreitung zu verschaffen. Nun entspringt uns zwar hieraus die Täuschung, als wenn diese Richtungslinien von einem Gegenstande selbst, der ausser dem Felde empirischmöglicher Erkentniß läge, ausgeschlossen wären (so wie die Obiecte hinter der Spiegelfläche gesehen werden), allein diese Illusion (welche man doch hindern kan, daß sie nicht betriegt) ist gleichwol unentbehrlich

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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_644.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)