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747 Die Disciplin der reinen Vernunft im polem. etc. 747

Speculation bringen könne und, ob man auf diese überhaupt etwas rechnen, oder sie lieber gegen das Practische gar aufgeben müsse. Anstatt also mit dem Schwerdte darein zu schlagen, so sehet vielmehr von dem sicheren Sitze der Critik diesem Streite geruhig zu, der vor die Kämpfende mühsam, vor euch unterhaltend und bey einem, gewiß unblutigen Ausgange, vor eure Einsichten ersprießlich ausfallen muß. Denn es ist sehr was Ungereimtes, von der Vernunft Aufklärung zu erwarten und ihr doch vorher vorzuschreiben, auf welche Seite sie nothwendig ausfallen müsse. Ueberdem wird Vernunft schon von selbst durch Vernunft so wol gebändigt und in Schranken gehalten, daß ihr gar nicht nöthig habt, Schaarwachen aufzubieten, um demienigen Theile, dessen besorgliche Obermacht euch gefährlich scheint, bürgerlichen Widerstand entgegen zu setzen. In dieser Dialectik giebts keinen Sieg, über den ihr besorgt zu seyn Ursache hättet.

 Auch bedarf die Vernunft gar sehr eines solchen Streits und es wäre zu wünschen, daß er eher und mit uneingeschränkter öffentlicher Erlaubniß wäre geführt worden. Denn um desto früher wäre eine reife Critik zu Stande gekommen, bey deren Erscheinung alle diese Streithändel von selbst wegfallen müssen, indem die Streitenden ihre Verblendung und Vorurtheile, welche sie veruneinigt haben, einsehen lernen.

 Es giebt eine gewisse Unlauterkeit in der menschlichen Natur, die am Ende doch, wie alles, was von der

Natur
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_747.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)