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793 Die Disciplin d. r. Vernunft in Beweisen 793

da gilt die Regel: non entis nulla sunt praedicata, d. i. sowol was man bejahend, als was man verneinend von dem Gegenstande behauptete, ist beides unrichtig und man kan nicht apogogisch durch die Widerlegung des Gegentheils zur Erkentniß der Wahrheit gelangen. So wie zum Beispiel, wenn vorausgesezt wird: daß die Sinnenwelt an sich selbst ihrer Totalität nach gegeben sey, so ist es falsch, daß sie entweder unendlich dem Raume nach, oder endlich und begränzt seyn müsse, darum, weil beides falsch ist. Denn Erscheinungen (als blosse Vorstellungen), die doch an sich selbst (als Obiecte) gegeben wären, sind etwas Unmögliches und die Unendlichkeit dieses eingebildeten Ganzen würde zwar unbedingt seyn, widerspräche aber (weil alles an Erscheinungen bedingt ist) der unbedingten Grössenbestimmung, die doch im Begriffe vorausgesezt wird.

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 Die apogogische Beweisart ist auch das eigentliche Blendwerk, womit die Bewunderer der Gründlichkeit unserer dogmatischen Vernünftler iederzeit hingehalten worden: sie ist gleichsam der Champion, der die Ehre und das unstreitige Recht seiner genommenen Parthey dadurch beweisen will, daß er sich mit iederman zu raufen anheischig macht, der es bezweifeln wolte, obgleich durch solche Großsprecherey nichts in der Sache, sondern nur der respectiven Stärke der Gegner ausgemacht wird, und zwar auch nur auf der Seite desienigen, der sich angreifend verhält. Die Zuschauer, indem sie sehen, daß ein ieder

in Ddd 5 in
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 793. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_793.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)