Seite:Keller Gotthelf 105.jpg

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der zu befehlen, zu regieren, selbständig zu handeln und zu entschließen hat, und eine hübsche junge Frau ist seine Gefährtin. Das ist aber nicht romantisch schnell gegangen, sondern er ist darüber bedächtlich dreißig Jahre alt geworden, kennt den ganzen Umfang seiner Aufgabe und ist durchaus nicht sorglos. Indessen steht sein früherer Meister noch immer mit Aufmunterung und Rath, selbst mit Bürgschaft zur Seite.

Damit schließt „Uli der Knecht“, und, sollte man denken, überhaupt dieser Stoff. Denn daß Uli nun im Stande ist, ein guter Pächter zu sein, wissen wir schon und verlangen keinen neuen Beweis in Form eines Buchs darüber. Nun schließt aber Gotthelf mit ebenso unerwarteter als trefflicher Wendung eine neue Bahn auf. Das Menschenleben ist eine fortgehende Schule. Der Staatsmann wie der Bauer muß jeden Morgen die Erfahrungen von gestern sammeln, das Verbrauchte umwenden und erneuen; unsere Seele muß, wenn sie nicht verkommen will, jeden Tag ihre Wäsche wechseln. Der moralische Mensch hat so gut seine Respiration wie der physische, und nur durch dieselbe bleiben wir lebendig. Wir bleiben nicht gut, wenn wir nicht immer besser zu werden trachten, und zu diesem Zwecke bedarf es nicht einmal des Gedankens der Unsterblichkeit; schon für diese sechzig oder siebenzig Jahre müssen wir immerwährend wach sein, wenn wir für die Dauer derselben glücklich, d. h. gut bleiben wollen. Diejenigen, welche dieses leugnen, erfahren es doch täglich an sich selbst am besten, seien sie Nihilisten par excellence, oder seien sie religiöse Heuchler. Uli ist nun ein blühender Dreißiger geworden. Kinder umgeben ihn. Arbeits- und Ordnungsliebe sind ihm zur andern Natur

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Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_105.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)