Seite:Keller Gotthelf 118.jpg

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angelegt. Sie entwickeln sich vor unsern Augen, ohne daß ein Wort davon geplaudert wird, und auf einmal – wir wußten es schon lange, daß es so kommen müsse, ersahen aber den Augenblick nicht – ist das Glück da. In wenig treffenden Zügen wird es abgemacht.

An epischen, lyrischen und dramatischen Momenten der schönsten Art fehlt es auch nicht. Uli’s junge Frau ist, obgleich sie Pferd und Wagen zur Verfügung hatte, in ländlicher Bescheidenheit und Rüstigkeit mehrere Stunden weit zu Fuß gegangen, um einer Jugendfreundin ein Kind aus der Taufe zu heben. Sie hat dieselbe im größten Elend angetroffen, hat gemildert und getröstet, wo sie konnte, und ist nun, gedankenvoll und aufgeregt, auf dem Heimwege. Ihre Kräfte erschöpfen sich aber doch und die ungewohnten engen Sonntagsschuhe machen ihr viel Beschwerde; so schleppt sie sich mühsam auf der einsamen Straße dahin, auf den Boden schauend und seufzend: da weckt sie eine liebe Stimme, sie schaut auf, und ihr kräftiger schmucker Mann sitzt, das stattliche Pferd zügelnd, auf dem bekannten leichten Fuhrwerke vor ihr. Er ist aus eigenem Drange ihr entgegengeeilt. Die einfache, wahrhaft antike Schönheit dieses Moments fühlt sich übrigens nur, wenn man das Ganze selbst liest. Vom allerbesten Korn ist ferner die Stelle, wo die jungen Pachtleute zum ersten mal ein Erntefest geben müssen. An diesem Tage ist es Sitte, daß nicht nur alle möglichen Arbeiter und wer in irgend einer Berührung zum Hause steht verschiedene reichliche Mahlzeiten erhalten, sondern alle Bettler, welche sich melden und welche um die Erntezeit eigentlich darauf reisen, müssen mit Kuchen abgespeist werden. Vreneli hat schon verschiedene Sträuße mit ihrem knauserigen Manne

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Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_118.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)