Seite:Keller Gotthelf 120.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

der ganze Troß der Vettern und Basen, erblüstern, ist gefolgt, Rührung heuchelnd. Nur das treue Gesinde ist allein im Hause geblieben und hält aufrichtig trauernd Wache, obgleich sie nichts zu erben hoffen.

Wenn aus Ost oder Südost der Wind geht, so hört man im Nidleboden das Geläute von der Kirche her, hört das Mittagsgeläute, hört die Schläge der Todtenglocke. Von dort her kam am selben Tage der Wind um’s Haus in den Baumgarten hinaus. Jedes für sich, damit keins das andere störe im Horchen und Sinnen, standen die Zurückgebliebenen, lauschten auf die Töne vom Kirchlein her, sahen einander fragend an, schüttelten verneinend die Köpfe. Das Läuten beginnt, wenn der Sarg dem Kirchhof sich naht. Sie wollten im Geiste bei seinem Grabe sein, wollten beten in’s Grab hinein, wollten mischen ihr Gebet mit der über ihm zusammenrollenden Erde, den andern gleich, die am Grabe standen. Da hob das Mädchen, welches als äußerster Vorposten auf einem großen Erdhaufen stand, die Hand empor und rief: „Hört, hört!“ Da klang es wirklich durch die Lüfte, leise, wie Geisterwehen; lauter schwebten dann einzelne Glockentöne heran, Geisterstimmen, welche die Kunde brachten, jetzt nahe der selige Kirchmeier seinem Grabe, jetzt werde der müde Leib in die Erde gesenket, um wieder zur Erde zu werden, aus welcher er genommen worden.

Dadurch, daß Gotthelf so sehr an der Vergangenheit hängt, gewinnen seine Darstellungen einen Reiz, welchen Auerbach’s Geschichten nicht haben. Er gleicht hierin vielmehr Immermann, welcher in seiner westfälischen Idylle das Volk mit seinem ehrwürdigen historischen Roste vorführt. Das Leben auf den alten großen Bernischen Bauerngehöften hatte etwas ungemein Ehrwürdiges, und Gotthelf schildert mit schöner Wehmuth die alte Art und Weise. Aber alle Formen wechseln auf Erden, und eben dieser Wechsel ist es, welches das Vergangene mit einem verklärenden Lichte bestrahlt.

Empfohlene Zitierweise:
Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_120.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)