Seite:Keller Gotthelf 125.jpg

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Von solcherlei Seelenkämpfen scheint der glückselige Jeremias keine Ahnung zu haben. Während der Dichter sonst im Leben unbesonnen, leidenschaftlich, ja sogar unanständig sein kann, wenn er nur hinter dem Schreibtische besonnen, klar und anständig und fest am Steuer ist, macht es Gotthelf gerade umgekehrt: ist äußerlich ein solider gesetzter geistlicher Herr; sobald er aber die Feder in die Hand nimmt, führt er sich so ungeberdig und leidenschaftlich, ja unanständig auf, daß uns Hören und Sehen vergeht. Aber wie gesagt, in diesem Falle gewinnen die echten Liebhaber nur dadurch; sie erhalten um so unverfälschtere Waare, welche sie beliebig verwenden können. So ist z. B. jedes Buch Jeremias Gotthelf’s eine treffliche Studie zu Feuerbach’s „Wesen der Religion“. Der Gott, der diese Bauern regiert, ist noch der alte Donnergott und Wettermacher. Sie hangen ab von Regen und Sonnenschein, von Licht und Wärme und fürchten Hagel und Frost. Sie zittern vor dem Blitzstrahl, der in ihre Scheune schlägt, und halten ihn für die unmittelbare Folge einer bösen That. Besitz und irdisches Wohlergehen verlangen sie von Gott und sind zufrieden mit ihm in dem Maße, als er dieselben gewährt. Er ist der Gewährsmann und Gehülfe aller ihrer Leidenschaften. Ein ruchloses verleumderisches Weib in der „Vehfreude“ will ihn durch Gebet zwingen, ihre Feindin zu tödten, und zweifelt an seiner Gerechtigkeit, wenn ihre Dorfintriguen mißlingen. Da ist nie die Rede von der „schönen symbolischen Bedeutung“ des Christenthums, von seiner „herrlichen geschichtlichen Aufgabe“, von der Verschmelzung der Philosophie mit seinen Lehren.

Dagegen spielt der Teufel eine gewichtige Rolle und

Empfohlene Zitierweise:
Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_125.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)