Seite:Keller Gotthelf 131.jpg

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beiden Fällen gleich wahr und treffend. Die Frauen sind schlau, wohlwollend und vorsorglich; die kräftigen Männer sind geschwätzig und rühmen sich selbst unbekümmert, gleich den Homer’schen Helden. Es ist der Stolz der Väter, wenn sie nach einem Volksfeste einige hundert Taler an die von ihren Söhnen Verwundeten auszahlen müssen, und dieses bringt That und Bewegung in die Geschichten. Die Söhne sind große Pferdekenner und fahren voll Stolz durch das Land.

Ein weiterer alterthümlicher Reiz ist in einigen dieser Geschichten, wo eine Brautwerbung vor sich geht: daß gar nie von Liebe die Rede ist. Die Leute gehen aus, ein Weib oder einen Mann zu suchen, der auf ihren Hof paßt, und doch empfindet der Leser jedesmal am Schlusse eine Genugthuung, wie kaum im empfindsamsten Romane. Wenn ein Mädchen die einer tüchtigen Bäuerin nöthigen Tugenden und einen schönen Leib besitzt, so ist sie das, was der Werber gesucht hat; und es beruht diese Weise auf der Erfahrung, daß, wo ein recht gesunder Mann mit einem ditto Weibe zusammenkommt und beide auf einander angewiesen sind, auch eine gesunde Liebe nie ausbleibt. In den Städten, wo eine Unzahl Verschiedenheiten in der Geschmacksrichtung und Geistesbildung ebenso viele „Mißverhältnisse“ veranlaßt, wo eine Frau eine unglücklich Getäuschte ist, weil es sich erweist, daß der Mann keine Symphonie zu genießen im Stande ist: – dort ist diese Weltanschauung allerdings nicht mehr am Platze; aber auf dem Lande, wo alle Bedingungen der Harmonie noch einfacher und gleichmäßiger sind, ist sie weit poetischer, als man glauben möchte. Wenigstens ist die Stimmung des Lesers in Jeremias Gotthelf’s einfachen und

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Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_131.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)