Seite:Keplers Traum 021.jpg

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sind, so bleiben sie, nach Humboldt[1], im Grunde doch auch nur Träume und Ahnungen eines grossen Mannes über die Pflanzen- und Thierwelt und die dort abgeänderte Gestalt des Menschengeschlechts.

Und wenden wir uns nun zu den neueren Produkten dieser Art, so finden wir immer vagere, immer phantastischere Gebilde und erkennen immer mehr, dass die Absicht, den Leser angenehm zu unterhalten, Mittel zum Zweck gewesen. Denn wofür sollen wir die abgerichteten Gänse, die den Dominik Gonsales in Godwins[2] ‚Mann im Monde‘ in 12 Tagen zum Mond hinübertragen; die mittelst eines Kometen unternommenen himmlischen Reisen Voltaires[3]; und gar die aus einer Kanone geschossenen, bombastisch mit wissenschaftlichen Fransen verzierten Deduktionen des Herrn Julius Verne anders halten?

Nur bei einer Arbeit des Flammarion möchte ich noch verweilen, weil sie, wie alle seine Schriften, aus wirklich astronomischen Kenntnissen heraus geschrieben ist. Seine ‚Urania‘ ist eine fesselnde Schilderung der Lebensformen auf anderen Welten, in welcher der Astronom zugleich als Dichter und Philosoph seine Weltanschauung offenbart. Er begnügt sich nicht mit der Reise bis zum Mond, sondern schweift weiter. Von der ihm im Traum erscheinenden verklärten Urania wird er in den Aether getragen: sie lassen Mercur, Venus, Mars hinter sich, eilen an Jupiter, Saturn, Uranus vorbei; immer weiter fliegen sie, über das Sonnensystem hinaus in eine neue Welt. In weiterem Verfolg seiner Erzählung bespricht Flammarion das Bewohntsein fremder Weltkörper und obgleich er diese Frage mit viel Geist behandelt, sucht er doch Alles mit einem geheimnissvollen Schleier zu umweben, um auch nur am Ende mit saurem Schweiss zu sagen – was er selbst nicht weiss! Und darum habe ich keine Befriedigung in dem Buche gefunden, und wenn er gar Gelegenheit nimmt, seine Theorien vom Fortleben der Wesen nach dem irdischen Tode in phantastischer Form vorzutragen, so kann ich nur aufrichtig bedauern, dass ein Mann von so reichem Wissen sich auf das Gebiet des Mysticismus begiebt und, neben sehr lehrreichen Ausführungen auf Grund der errungenen wissenschaftlichen Erkenntniss, Schwärmereien zum Besten giebt, welche hauptsächlich auf die grosse Menge verwirrend wirken müssen.

Nach dieser gebotenen Abschweifung wende ich mich wieder unserm Buche zu. Und da man von einem lieben Freund, mit dem man eine

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite XVII. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_021.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)
  1. ‚Kosmos‘ 1845. III, S. 21.
  2. William Godwin, englischer Schriftsteller, geb. 1756 zu Wisbeach, gest. 1836.
  3. François Voltaire, französischer Schriftsteller, geb. 1694 zu Châtenay b. Paris, gest. 1778 in Paris. Sein Werk ‚Epître à Uranie‘ erschien 1722.