Seite:Keplers Traum 023.jpg

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wurde, um so mehr musste ich bedauern, dass Kepler nicht in der Sprache Luthers schrieb, er hätte sicherlich schon damals die Naturwissenschaften volksthümlich gemacht. In grosser Begeisterung und aufrichtiger Verehrung für den grossen Gelehrten und edlen Menschen, wagte ich mich daher selbst daran, die Goldkörner eines vergessenen Schatzes zu schürfen.

Mein Buch ist nicht mit einem Male entstanden: ich begann zunächst, einige besonders hervorragende Stellen zu übertragen und durchzuarbeiten und fand darin einen so hohen Genuss, eine so ungetrübte Freude, dass ich immer weiter vordrang, bis zuletzt das ganze Werk vor mir lag. Nun erst erkannte ich ganz, wie recht Kepler hatte, als er sagte: „meine Abhandlung hat so viele Probleme als Zeilen, aber wer wird es der Mühe für werth erachten, sie zu lösen?“ Er hat sie in den Noten gelöst, aber er, der nur die Geister zu vergnügen wusste, hat dabei der Leiber wenig gedacht. Und doch auch die grosse Menge wünsche ich für das Werk zu interessiren, sie mit den grossen Gedanken Keplers bekannt zu machen. Denn Kepler ist einer der genialsten Forscher aller Zeiten, ein Genius von solch universeller Bedeutung, dass die gesammte gebildete Welt sich nur selbst ehrt, wenn sie dieses bahnbrechenden Geistes gedenkt. Im sogenannten Zeitalter der Aufklärung, da die Wissenschaften aus der Nacht des Mittelalters wieder zu neuem Leben erwachten, steht er als einer der kühnsten und verdienstvollsten Fahnenträger des geistigen Fortschritts da!

Wenn ich nun hiermit die wohl noch am wenigsten gepflegten Pfade der Keplerforschung zu betreten und das ‚Somnium‘ für das gebildete Laienpublikum zu bearbeiten wage, so glaube ich nicht unvorbereitet an diese Arbeit gegangen zu sein. Schon seit vielen Jahren mich lebhaft für Kepler interessirend, habe ich alle Bücher von und über ihn und Alles, was sich sonst irgendwie auf ihn bezieht, zu erwerben oder zu meinem geistigen Eigenthum zu machen gesucht; aber dennoch wäre ich wohl kaum im Stande gewesen, mein Vorhaben auszuführen, wenn ich mich nicht der Sympathie namhafter Capacitäten auf dem Gebiete der Astronomie und der Erdkunde zu erfreuen hätte, die mich mit ihrem Wissen unterstützten und mich durch ihre Freude für mein Unternehmen zu gedeihlichem Schaffen ermunterten. Ich bin in meiner Arbeit bestrebt gewesen, die von Kepler in den Noten niedergelegten Gedanken für den weniger Eingeweihten näher zu begründen, sie zum Theil aus seinen eigenen Werken auf ihren Ursprung zurückzuführen, zum Theil weiter zu verfolgen und Reflexionen daran vom Standpunkte der neueren Errungenschaften auf diesem Gebiete zu knüpfen.

Musste ich dabei zuweilen etwas weiter ausholen, hier und da abschweifen, so liegt das in meiner Absicht begründet: der Leser wird

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite XIX. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_023.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)