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Island nehmen, einen Windsack öffnen und den gewünschten Wind zu Stande bringen; aber wenn einer dabei die Windrose, die Magnetnadel und das Steuerruder berücksichtigt, so dürfte er meist das Richtige treffen. Denn da 32 Winde unterschieden werden, so wird, wenn alle 16 der einen Hälfte wehen und wenn die Kunst des Steuermanns dazu kommt, nach der Bussole und durch die Lenkung des Steuerruders das Schiff gemäss Bestimmung des Kurses vorwärts kommen. Den Winden der entgegengesetzten Hälfte aber nimmt man ihre Wirkung, indem man rechts und links zur Seite ausweicht, was man laviren nennt.

Kepler sucht hier, nicht ohne Grund in versteckter Weise, dem Wunderglauben entgegenzutreten, indem er die Ausnutzung der dem Kurse widrigen Winde – wie man sieht – ganz richtig aufklärt.

Ueber die 32 Winde giebt er an anderer Stelle[UE 1] Auskunft:

‚Diese Observation zu verstehen, soll man wissen, das die Busole oder Meer Compass, danach alle Steuerleut im hohen Meer sich richten, abgetheilt ist in 32 theil, so die Schiffleut 32 Strich oder Bruch nennen, vnd hat jeder Strich seinen Namen von den 4 Hauptwinden: machen also 32 wind.‘

Was die Wirkung des Windsacks anbelangt, so ist dies eine alte nordische Sage[UE 2], die sich wohl noch in die Neuzeit übertragen hat, die aber mit der Verwandlung des Windes selbstverständlich ohne Zusammenhang ist. Es war ein alter Aberglaube, dass, wenn ein Schiffer in See ging, ihm ein solcher Windsack, der vorher, wenn man so sagen will, geheiligt wurde, mitgegeben ward. Die Kunst des Steuermanns bestand, wie noch heute, aber darin, dass er das Parallelogramm der Kräfte von Wind- und Steuerdruck so ausnutzte, dass auch bei ungünstigem Winde die eine Componente den Vorwärtsgang des Schiffes bewirkte. Es wird also beim Kreuzen oder Laviren thatsächlich der ungünstige Wind in einen günstigen verwandelt, so dass man immer auf seinem Kurse vorwärts kommt. Es sind eben 16 Winde günstig und 16 ungünstig; der einzige Unterschied zwischen früher und jetzt ist wohl der, dass man derzeit mit der Praxis arbeitete und heute der Beweisführung näher getreten ist, was man erkennt, wenn man die von Kepler erwähnten Schifferbücher mit den heutigen Seemannschaftswerken vergleicht.


14. [16.]


So erzählte der Bischof dem Tycho Brahe, die isländischen Jungfrauen pflegten in der Kirche während der Predigt das Gesagte

Anmerkungen des Übersetzers

  1. C. Anschütz, wie vor. S. 101.
  2. s. auch Homers Odyssee.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 031. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_059.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)