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anziehende Kraft des Mondes sich bis zur Erde erstrecke, ja, dass diese Kraft, ähnlich der, welche der Magnetismus auf das Eisen ausübt, die Erde des Wassers berauben würde, wenn diese aufhörte, dasselbe anzuziehen.

Der schlagendste Beweis aber der gegenseitigen Anziehung von Mond und Erde, sagt er in N. [62], liegt in der Fluth und Ebbe des Meeres. Der im Scheitel der Oceane stehende Mond zieht die den Erdball umschliessenden Gewässer an und durch diese Anziehung wird bewirkt, dass die von allen Seiten an den Continenten herabfliessenden Gewässer, die senkrecht unter dem Monde liegen, die Gestade bedecken. Während sie inzwischen aber noch auf dem Wege sind und der Mond indessen aus dem Scheitel des einen Oceans fortrückt, werden die Gewässer, die das westliche Ufer bespülen, weil eben die anziehende Kraft aufhört, zurücktreten, und sich nunmehr auf die östlichen Gestade ergiessen.

Dann betrachtet er die daraus erfolgenden Bewegungen, leitet daraus Anhäufungen von Sandbänken, Ueberschwemmungen, Versandungen her u. s. w.

Erfahrene Schiffer versichern, dass die Meeresfluth stärker sei bei verbundenen als bei quadrirten Gestirnstellungen. [Syzygien resp. Quadraturen s. Fig. 11 u. 12.]

Später, N. [202], betont er, dass auch die Sonne ihren Antheil an der Erzeugung der grossen irdischen Gezeitenwelle haben muss:

Auch scheint die Meeresfluth bedingt durch die Körpermassen der Sonne und des Mondes, welche die Meeresgewässer mit einer magnetischen Kraft anziehen. Auch die Erde zieht ihre Wassermassen an und das nennen wir Schwere. Was steht also im Wege zu sagen, die Erde ziehe auch die Mondgewässer an, gleich wie der Mond die Erdwässer? Dies zugegeben folgt, dass, wenn Sonne und Erde zusammen oder gegenüber treten, ihre Anziehungskraft sich vereinigt.

Kepler erkannte also schon die Ursache, weshalb die grössten Fluthen stets in die Neu- und Vollmonde, die kleinsten aber in den beiden Vierteln fallen müssen.

Ich habe diesen Gegenstand etwas ausführlicher behandelt, um zu zeigen, einen wie grossen Antheil Kepler an der Entdeckung des Gravitations-Gesetzes hat: er war der Lehrer Newtons, von dem selbst ein Humboldt[UE 1] sagt, dass die ausschliessliche Bezeichnung dieser grossen Entdeckung als die Newtonsche fast eine Ungerechtigkeit gegen das Andenken des grossen Mannes enthält.

S. auch N. [67.] [74.] [75.]

Anmerkungen des Übersetzers

  1. Humboldt, Kosmos IV, S. 10.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 052. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_080.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)