Seite:Keplers Traum 086.jpg

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Richtung der Linie nach A visiren [BA], dann von C aus ebenso die Richtung nach A bestimmen [CA], d. h. man wird in B den Winkel ABC und in C den Winkel ACB messen. Kennt man nun noch, durch direkte Messung, die Länge der Linie BC, so wird in dem Dreieck ABC eine Seite und zwei Winkel bekannt sein und man kann daher sowohl den Winkel bei A, als auch die Seite AB berechnen.

Den Winkel bei A nennt man nun die Parallaxe für die Standlinie BC und man erkennt ohne Weiteres, dass der Punkt A, etwa ein Stern, von B und C aus an verschiedenen Stellen des Hintergrundes, etwa des Himmelsgewölbes, nämlich in a resp. aI gesehen werden muss. Ferner ist sofort klar, dass die Parallaxe für eine und dieselbe Standlinie desto kleiner wird, je weiter der Gegenstand vom Beobachter absteht und dass damit auch die Verschiebung des Punktes kleiner wird; denn in A’ ist der Winkel viel kleiner als in A und dem entsprechend rücken auch die Punkte aIIaIII näher zusammen. Wird schliesslich die Entfernung BA gegenüber BC unverhältnissmässig gross, so kann die Parallaxe so klein werden, dass sie nicht mehr gemessen werden kann; die ursprünglichen beiden Linien BA und CA scheinen dann parallel zu verlaufen und die Punkte aaI fallen zusammen.

Populär kann man diesen Vorgang klar machen an dem grossen Zeiger einer Uhr, der, weil er über den kleinen hinweggehen muss, stets etwas vom Zifferblatt absteht. Betrachtet man nämlich den Zeiger, wenn es gerade 12 Uhr ist, indem man seitlich rechts daneben sieht, so wird er nicht genau auf 12′, sondern noch etwas davor, steht man links daneben, etwas darüber zeigen, und nur wenn man gerade davor steht, wird man die richtige Zeit sehen. Ich möchte diese Abweichung hier die Parallaxe der Zeit nennen und man findet sie – analog unserm vorigen Beispiel – um so kleiner, je weiter man sich von der Uhr entfernt, d. h. je grösser der Abstand im Vergleich zur Länge der Standlinie, unter dem man die Zeiger betrachtet, ist, und sie wird endlich = 0, wenn man gerade davor steht, d. h. wenn das Verhältniss der Entfernung zur Standlinie = ∞ ist.

Nach diesen Betrachtungen erkennen wir, dass der Einwurf Tychos nicht ohne Grund war, denn es müsste, wenn die Erde sich fortbewegte, ein Fixstern, von verschiedenen Oertern der Erdbahn betrachtet, an verschiedenen Punkten des Himmels erscheinen. Die grösste Entfernung zweier solcher Oerter entsteht, wenn die Erde sich einmal im Aphel und einmal im Perihel befindet, also an zwei entgegengesetzten Punkten der Erdbahn, Fig. 5[UE 1] (S. 59). Die Standlinie EEI ist dann der ganze

Anmerkungen des Übersetzers

  1. Die Ekliptik ist sehr carikirt gezeichnet, um die Deutlichkeit hervortreten zu lassen. In Wirklichkeit nähert sich die Erdbahn vielmehr dem Kreise.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 058. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_086.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)