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der Erde regulirt, völlig gleichmässig ist. Er schreitet langsamer fort in der Erdferne [Apogäum], schneller in der Erdnähe [Perigäum]. Daher überwiegt in jenem Falle die Rotation seine Revolution, während in diesem das Umgekehrte der Fall und die Folge davon ist, dass sich der Mond für unser Auge bald etwas nach Westen, bald nach Osten um seine Axe zu drehen scheint. Das Stück der uns abgewendeten Mondscheibe, das uns durch diese Schwankungen zu Gesicht kommt, beträgt allerdings nur ungefähr 1/10, aber wir lernen dadurch doch nach und nach im Ganzen ca. 3/5 der Mondoberfläche kennen; s. auch C. 97.


56.


Kepler beginnt hiermit in seiner prägnanten Weise seine Ansicht über die selenographische Eintheilung der Mondoberfläche vorzutragen und ich will versuchen, an der Hand einer Zeichnung dieses Bild zu erläutern. [Tafel I.]

Bezüglich derjenigen Ausdrücke, wofür die Erdbeschreibung kein Analogon hat, bemerke ich, dass Kepler, echt astronomisch, bemüht war, die Erde zu deren Formulirung heranzuziehen. So bildet er die Bezeichnung ‚subvolvan‘ und ‚privolvan‘, indem er sich vorstellt, wie die Bewohner des Mondes die Erde – ihre Volva – anschauen. Den Mondbewohnern erscheint nämlich die Erde als eine am Himmel sich fortwährend um eine feststehende, gleichbleibende Axe wälzende – volvirende – Kugel [s. C. 62] und ist aus diesem Grunde „Volva“ benannt; s. C. 64. u. N. [111].

In unserer Zeichnung ist die Umfangslinie der Divisor oder Theilkreis, weil die ganze Mondoberfläche dadurch in 2 gleiche Hemisphären getheilt wird: in eine uns zugewandte – die subvolvane – und eine uns abgewandte – die privolvane – und entsprechend nennt Kepler die Bewohner der ersteren die Subvolvaner, die der letzteren die Privolvaner; die Subvolvaner sehen also die Volva immer, die Privolvaner dagegen nie. Der Divisor geht durch die Pole des Aequators, die Weltpole des Mondes, ähnlich wie für unsere Erde die Kolur der Solstitien.

Die Solstitien oder Sonnenwenden nennt man nämlich diejenigen beiden Punkte in der Ekliptik, wo die Sonne, entweder nördlich oder südlich, von dem Aequator am weitesten entfernt ist und einige Zeit still zu stehen scheint, um sich dann dem Aequator wieder zuzuwenden. Einen grössten Kreis, welchen man sich durch diese beiden Punkte um die Himmels- oder Weltpole gezogen denkt, nennt man die Kolur der Solstitien; sie theilt, wie der Divisor die Mondoberfläche, das Himmelsgewölbe ebenfalls in zwei gleiche Hälften; s. C. 70.

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Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 063. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_091.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)