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zeigt auch die Erde den Seleniten Phasen, die denen, welche wir am Monde beobachten, ganz ähnlich, nur diesen gerade entgegengesetzt sind, wie gleichfalls aus Fig. 8 ersichtlich ist. Von N in MI aus gesehen erscheint nämlich die Erde im letzten und von N in MIII im ersten Viertel, während der Mond selbst erstes resp. letztes Viertel zeigt; s. auch N. [111].

Es gilt als Regel, dass die Lichtgestalten der Erde und des Mondes, wenn man jeden dieser Himmelskörper vom andern aus betrachtet, einander ergänzen.


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Die Medivolvane entsprechen unseren Meridianen, aber während wir sehr viele Meridiane haben, besitzen sie [die Mondbewohner] nur je einen Medivolvan, nämlich den, der durch die Mittelpunkte je ihrer beiden nach der Volva benannten Hemisphären geht. Dennoch sind die Medivolvane nicht an Stelle unserer Meridiane, sondern die Mondbewohner haben auch noch daneben ihre Meridiane, Halbkreise durch die Pole und die Scheitel der Orte gezogen gedacht, Bundesgenossen gleichsam des eigentlichen Medivolvans. Aber im Gegensatz zu unseren Erdmeridianen, die keinen natürlichen Anfang haben, beginnen die Mondmeridiane bei dem Medivolvan, in welchem Sonne und Volva zugleich zusammentreffen, während sie durch die übrigen Meridiane nicht zugleich, sondern zu verschiedenen Zeiten gehen.

Tafel I. Der Medivolvan wird verglichen mit den Meridianen der Erde, jenen Halbkreisen, welche von einem Pol zum andern gehen und den Aequator unter einem rechten Winkel durchschneiden, auch Mittagslinien genannt, weil in einer jeden derselben gerade täglich die Sonne steht, wenn sie den höchsten Punkt am Himmel erreicht hat. Während es aber unzählige Erdmeridiane giebt, haben die Mondbewohner für jede ihrer Hemisphären nur einen Medivolvan, welche beide zusammen eine Kreislinie bilden, die durch die beiden Pole und die Nabel der beiden Hemisphären geht und sowohl den Aequator als auch den Divisor unter einem Winkel von 90° in zwei einander gegenüberliegenden Punkten schneidet. Daneben kann man sich – so führt Kepler weiter aus – auf dem Monde auch noch Meridiane, analog denen der Erde, denken, die bei dem Medivolvan ihren natürlichen Zählanfang haben, im Gegensatz zu den Meridianen der Erde, die zum Anfang einen willkürlich angenommenen Ort, z. B. die Insel Ferro, oder die Sternwarte zu Greenwich haben.

Auf diese keplersche Eintheilung der Mondkugel ist das zur Bestimmung der einzelnen Mondobjecte gelegte Gradnetz der heutigen Selenographen zurückzuführen; ich habe es in Tafel I mit den Bezeichnungen

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Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 068. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_096.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)