Seite:Keplers Traum 100.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
72.


Es könnte höchst auffallend erscheinen, dass Kepler hier die Sonne als Planet bezeichnet, aber man erinnere, dass er sich streng auf den Standpunkt eines Mondbewohners stellt [s. auch C. 63] und ein solcher wird die Erde, die für ihn ja feststeht, nicht als Planet auffassen, wohl aber die Sonne, die er in Bewegung sieht, gleich wie auch im Alterthum Sonne und Mond zu den Planeten gezählt wurden. Die Alten nahmen 7 Planeten an: Saturn, Jupiter, Mars, Sonne, Venus, Merkur und Mond. Letzterer fällt bei den Seleniten, als ihr Standpunkt, fort, ebenso wie die Erde bei den Alten.

Dass Kepler die Mondbewohner noch ganz in den naiven Anschauungen des Alterthums erhält, geschah wohl nicht ohne Absicht: er wollte damit den Gegensatz zu den Erdbewohnern hervorheben, die sich bereits von den Scheinannahmen eines Ptolemäus zu der wahren Lehre des Copernicus emporgeschwungen hatten.


73.


Die Unregelmässigkeiten, welche die Gestirne in ihrem Laufe unter sich und zu einander zeigten, wurden von den Alten Ungleichheiten genannt; sie unterschieden hauptsächlich zwei: einmal diejenige, welche von der wirklichen Ungleichförmigkeit der Bewegung und von der wirklichen Abweichung der Bahnen von der Kreisgestalt herrührt – die sogn. erste Ungleichheit – und ferner diejenige, welche von dem Stande der Planeten zur Sonne abhängt und sich u. A. in Stillständen, Richtungsänderungen der Bewegung und Schleifenbildung der Bahnen äussert – die sogn. zweite Ungleichheit –.

Die zweite Ungleichheit hatte schon Copernicus durch die tägliche Rotation der Erde um ihre Axe und durch die jährliche Bewegung um die Sonne richtig erklärt; zur Ausgleichung der ersten Ungleichheit musste erst Kepler dem Himmel seine Gesetze geben, von denen das erste und zweite Gesetz hier in Betracht kommen. Die grosse Entdeckung, dass alle Planeten sich in Ellipsen bewegen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht [I] und dass der von der Sonne nach dem Planeten gezogene Fahrstrahl in gleichen Zeiten gleiche Flächenräume überstreicht [II], hat endlich das ursprüngliche copernicanische Weltsystem von den excentrischen Kreisen und den hypothetischen Epicykeln des Ptolemäus befreit. „Durch hartnäckig fortgesetzte Arbeiten,“ sagt Kepler an anderer Stelle, „brachte ich es endlich dahin, dass sich die Ungleichheiten der Bewegung der Planeten Einem Naturgesetz unterwarfen, so dass ich mich rühmen kann, eine Astronomie ohne Hypothesen errichtet zu haben.“

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 072. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_100.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)