Seite:Keplers Traum 108.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Aristarch[UE 1] war der erste, welcher die Entfernung der Sonne zu bestimmen versuchte, er rechnete heraus, dass die Sonne etwa 18–20 mal so weit von der Erde entfernt sei als der Mond. An diesem Facit konnten auch die Berechnungen Hipparchs[UE 2] und Ptolemäus’ wenig ändern und es hat sich viele Jahrhunderte behauptet; ja selbst Kepler legte es, wie wir aus N. [109] erfahren, noch z. Zt. als er den Text seines Traumes schrieb, seinen Berechnungen zu Grunde. Später, als er nach den Beobachtungen Tychos die Berechnung der Rudolphinischen Tafeln begann, kamen ihm indessen Zweifel über die Richtigkeit des überlieferten Werthes, er dehnte seine Rechnungen hierauf aus und fand, dass die Sonne mindestens 60 mal so weit von der Erde entfernt sein müsse, als der Mond, also ungefähr 3500 Erdradien, oder mit anderen Worten, dass die Sonnenparallaxe, d. i. der Winkel, unter welchem von der Sonne aus der Erdradius erscheint, jedenfalls kleiner sei als 1 Bogenminute. Erst mehrere Jahre nach Keplers Tode, um die Mitte des XVII. Jahrhunderts ist von Wendelin[UE 3] eine wesentlich bessere Bestimmung gegeben: er berechnet das Maximum der Parallaxe zu 15 Bogensekunden, wodurch das Verhältniss auf ein 240faches gebracht wurde. Jetzt kennt man die Sonnenparallaxe mit grosser Genauigkeit; sie ist ca. 8,8 Bogensekunden und das Verhältniss danach ein 400faches.

Es ist interessant zu sehen, wie die Sonne im Verlauf der Jahrtausende immer weiter und weiter in den Weltraum zurückgewiesen wird: von 1 Million bis zu 20 Millionen Meilen!

Wenn man nun dieses Verhältniss an Stelle des keplerschen in seine Rechnung einsetzt, so wird die resultirende Abweichung der Sonne in Wirklichkeit nicht ca. 5 Minuten, sondern nur etwa 45 Sekunden betragen.


77. [109.]


Da die Erde und der Mond in jährlicher Bewegung sich um die Sonne drehen, der Mond inzwischen auch um die Erde, so bewegt sich der Mond, wenn er zwischen Sonne und Erde kommt, was wir als Neumond bezeichnen, der Bewegung der Erde entgegen [Fig. 14, S. 81].

Anmerkungen des Übersetzers

  1. Aristarch von Samos, geb. 267 v. Chr. Einer der bedeutendsten Astronomen des Alterthums; er soll schon die Umdrehung der Erde um die Sonne behauptet haben; wird auch als Erfinder der Sonnenuhr genannt.
  2. Hipparch von Nikäa, geb. 160 v. Chr. Begründer der wissenschaftlichen Astronomie.
  3. Godofredus Wendelin, geb. 1580 zu Lüttich, gest. 1643 zu Condé in Belgien. Berühmter Astronom, der sich hauptsächlich mit der Erforschung des Sonnensystems erfolgreich beschäftigte.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 080. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_108.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)