Seite:Keplers Traum 110.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Die Bewegung des Mondes mit der Erde um die Sonne kann man sich populär vorstellen durch einen Reisenden in dem Waggon eines dahineilenden modernen D-Zuges. Macht der Reisende [Mond] einen Spaziergang durch die Reihe der Waggons und geht dabei der Fahrrichtung des Zuges [Erde] entgegen, so befindet er sich in der Lage des Neumondes: seine totale Fortbewegung wird sein gleich der des Zuges minus seiner eigenen. Umgekehrt, geht er mit der Fahrrichtung, so befindet er sich in der Lage des Vollmondes und seine totale Fortbewegung wird sich zusammensetzen aus der des Zuges plus seiner eigenen. Im ersteren Falle wird er also gegen die Geschwindigkeit des Zuges zurückbleiben, im letzteren ihr vorauseilen. Um das Bild vollständig zu machen, kann man sich als Sonne den Mittelpunkt der Erde denken.

Die Geschwindigkeitsunterschiede des Mondes, von denen Kepler spricht, stellen sich selbstverständlich in Wirklichkeit nur einem Beobachter auf der Sonne dar, für die Mondbewohner sind die Bewegungen der Sonne nur scheinbare, eben weil sie ihre eigenen Bewegungen, in der Voraussetzung ihres festen Standpunktes, auf die Sonne übertragen. Dass die Privolvaner dasselbe an ihrem Mittage beobachten, was die Subvolvaner um Mitternacht sehen, und umgekehrt, folgt aus C. 63.

Zur Erläuterung der keplerschen Rechnung, die, seinem klaren Geiste entsprechend, etwas sprungweise ist, sei noch Folgendes angegeben:

Ursprünglich hat er also das von mir in C. 76 ausführlich besprochene Verhältniss als ein 20faches angenommen.

Es sei der Erdradius ca. 850 deutsche Meilen[UE 1], so wäre danach

die Entfernung der Sonne 1200 × 850 = 1 020 000
und die des Mondes 1 020 00020 = 0 051 000;
die tägliche Bewegung der Erde 1 020 000365 = 0 002 800
und die des Mondes 51 00030 = 0 001 700.

Die tägliche Bewegung des Mondes ist mithin 1 020 0001700 = dem 600. Theil der Erdbahn und 17002800 = 0,61, also mehr als die Hälfte der täglichen Bewegung der Erde.

Der Neumond wird sich demnach bewegen:

1 − 0,61 = 0,39 [weniger als die Hälfte] und der Vollmond 1 + 0,61 = 1,61, mithin 1,610,39, also mehr als 4mal so schnell fortschreiten.

In N. [109] hat Kepler nun das von ihm zuerst erhaltene Facit

Anmerkungen des Übersetzers

  1. Kepler nimmt ihn zu 860 ‚Milliare‘ an; s. C. 34.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 082. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_110.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)