Seite:Keplers Traum 138.jpg

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Günstiger aber gestalten sich die Dinge, wenn wir annehmen, dass den Mondbewohnern ebenso feine Instrumente zur Verfügung stehen, wie gegenwärtig uns. Professor W. Foerster, Direktor der königl. Sternwarte zu Berlin, giebt u. A. in einem seiner Vorträge[UE 1] sehr interessante Aufschlüsse über diese Materie. Er nimmt an, dass man unter den allergünstigsten Verhältnissen, d. h. mit den besten optischen Mitteln und bei der vollkommensten und gleichmässigsten Durchsichtigkeit der über dem Beobachter liegenden atmosphärischen Schichten, auf den Oberflächen der Weltkörper zwei helle Punkte auf dunklerem Grunde oder umgekehrt noch deutlich getrennt sehen kann, wenn der Winkel, unter welchem ihr Abstand von einander gesehen wird, etwa 2/100 der Bogensekunde übersteigt. Hieraus kann man, folgert Foerster weiter, ungefähr auf die Grenze der Unterscheidbarkeit von Einzelheiten schliessen, also z. B. auf die Sichtbarkeit eines kleinen Dreiecks, welches durch drei in jenem kleinsten Abstände von einander befindliche Punkte gebildet wird u. s. w.

Auf Grund unserer Kenntniss der Entfernungen der Weltkörper, die hier in Frage kommen, können wir sagen, dass z. B. auf der Erde unter jenen günstigsten Verhältnissen Einzelheiten für die Seleniten erkennbar sein würden, deren wirkliche Dimensionen nur wenige Zehner des Meters betragen, also etwa Gegenstände, wie die grösseren von uns errichteten Gebäude oder ein in dunklen Uniformen auf einer sonnenbestrahlten gelben Sandfläche manövrirendes Bataillon u. s. w.

Danach ist es, meine ich, wohl denkbar, dass die Seleniten von der Besiedelung ihrer Volva Kenntniss haben mögen, denn gestehen wir einmal zu, dass es Mondbewohner giebt, so werden wir weiter auch zugeben müssen, dass es vernunftbegabte Wesen sind, die Wissenschaft, Kunst und Industrie pflegen und nicht zum wenigsten in einer so exacten Wissenschaft wie der Astronomie dieselbe Stufe der Vollkommenheit werden erreicht haben, wie wir.

Dieser Erkenntniss ist auch wohl der Vorschlag Fechners[UE 2] entsprungen, den er Mitte unserer 30er Jahre machte, wie wir uns mit den Bewohnern des Mondes oder des Mars in Verbindung setzen könnten, der dahin ging, dass man auf einer mehrere Quadratmeilen grossen Ebene mit verschiedenfarbig blühenden Pflanzen, als Gras, Raps, Buchweizen u. s. w. grosse geometrische Figuren, z. B. den pythagoreischen Lehrsatz, aussäen

Anmerkungen des Übersetzers

  1. s. ‚Mittheilungen der Vereinigung von Freunden der Astronomie‘ u. s. w. 1894. Heft 11, S. 162.
  2. Gustav Theodor Fechner, geb. 1801 in Gross-Särchen bei Muskau, gest. 1887, als Professor der Physik in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_138.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)