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Berücksichtigt man alle diese Umstände, so wird man logischer Weise zu der Ueberzeugung kommen, dass auf dem Monde von menschlichen Wesen, was wir darunter verstehen, überhaupt von lebenden Organismen, die denen unserer Erde auch nur im Entferntesten ähnlich sähen, füglich nicht die Rede sein kann.

Der Sinn dieses Schlusses liegt auch in der keplerschen Beschreibung der Endymioniden: er giebt ihnen wohl, und das mit Recht, die geistigen Eigenschaften der Erdbewohner, aber die körperlichen Organe lässt er kluger Weise ziemlich unerörtert oder hüllt sie sorgsam in das blendende Gewand phantastischer Ungeheuerlichkeiten. Denn es ist nun nicht gesagt, dass lebende Wesen auf dem Monde überhaupt nicht vorhanden seien, eine solche Behauptung wäre sogar unlogisch. Nehmen wir einmal an, es seien ‚Menschen‘ auf dem Monde vorhanden, gleichviel wie gestaltet, den göttlichen Funken könnten wir ihnen nicht vorenthalten: sie würden also die Erde sehen, sie würden nach und nach erkennen, dass diese eine ‚Atmosphäre‘, dass sie ‚Wasser‘ hat – Stoffe, die sie nicht kennten – dass die Schwere dort eine andere ist und noch Vieles mehr würden sie finden, was bei ihnen nicht oder ganz anders ist. Der Logik derjenigen zufolge, die das Vorhandensein von Leben auf dem Monde ganz und gar bestreiten, würden also die Seleniten einfach sagen: „Aus allem, was wir über die Volva wissen, schliessen wir mit Sicherheit, dass es dort lebende Wesen nicht giebt!“ Und doch wissen wir am besten, dass sie sich bei solchem voreiligen Schluss gründlich irren würden! ‚Die Natur liebt es nicht, sich selber zu copiren; sie ist reich genug, Individuen zu erschaffen und weiss trotzdem Einheit in der Mannigfaltigkeit zu bewahren.‘ Indem ich meine Aeusserungen über die Bewohner des Mondes mit diesem Ausspruch Mädlers beschliesse, kann ich mich seiner Meinung im Uebrigen nur anschliessen, ‚es sei im höchsten Grade wahrscheinlich, dass nicht der Mond allein, sondern jeder Weltkörper lebende Wesen beherberge, da gar kein Grund abzusehen ist, aus welchem die Erde einen so ungemeinen Vorzug ausschliesslich in Anspruch nehmen könnte‘. Aber wenn Lebensformen auf einem fernen Weltkörper bestehen, so sind es nicht Nachbildungen oder durch planetare Verhältnisse modificirte Metamorphosen einer oder mehrerer Urtypen, sondern freie Schöpfungen, nur denjenigen Welten angemessen, die sie bewohnen.


164. [222.]


Von den Ländern der neuen Welt schreibt Josephus a Costa dasselbe. Siehe meine ‚Dissertation über den Sternboten‘, f. 18.[UE 1]

Anmerkungen des Übersetzers

  1. ‚Dissertatio cum Nuncio Sidereo (a Galilaeo Galilaeo)‘, Prag 1610. K. O. O. II, S. 485 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_172.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)