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Einen zweiten Versuchsbeweis für das Vorhandensein einer Mondatmosphäre enthält These 148:

Wenn der Halbmond mit der dunklen Hälfte irgend einen Stern zu berühren anfängt, so erscheint dieser dem Mittelpunkt des Mondes näher als der gegenüberliegende helle Rand, wenn aber der Vollmond im Begriff ist, Sterne zu verdecken, so scheint es, als ob er diese schon vorher in den Bereich seiner hellen Umhüllung aufnehme, während sie durch dieselbe noch deutlich hervorblicken, und darauf erst verdeckt er sie selbst mit seinem Körper. Beobachtungen dieser Art findet man in den rudolphinischen Tafeln, Vorausberechnung. 133. pag. 94, von ♂ ☽ ♀.[UE 1] Von derselben Art ist der vierte Beweis, These 150: nämlich, dass zur Zeit der beginnenden Erneuerung des Mondes, wo seine ganze Gestalt nur ein schwaches, blasses Licht zeigt [das sogn. aschgraue Licht], während daneben das Horn oder die Sichel hell ist, dass also zu dieser Zeit die Umrisse der beleuchteten Sichel viel ausgedehnter erscheinen, als die gegenüberliegenden Umrisse seiner Gestalt. Disputant glaubt nun, dass dieses helle Licht der Sichel von dem weiteren Umfange der Mondatmosphäre herrühre, welche noch über seine Gestalt hinausrage. Nun wollen wir auch den fünften Beweis aus These 151 gleich dazu nehmen: dass nämlich die Mondsichel niemals dünner gesehen werden könnte, als eines Fingers Breite, obgleich man doch bisweilen an ein und demselben Tage den alten und den neuen Mond wahrnehmen kann, wobei der beleuchtete Theil kaum den 80. Theil des Durchmessers beträgt. Disputant behauptet wiederum, dass man dann jene luftige Hülle sehe, welche über die körperlichen Grenzen hinausrage.

Diese drei Beweise nun halte ich durchaus nicht für geeignet, um Zeugniss abzulegen von einer so bedeutenden Hervorragung über die Gestalt des Mondes hinaus. Den Grund für diese Erscheinung habe ich vielmehr in der Natur des Sehens selbst gefunden; denn während der Nacht erweitert sich die Pupille des Auges infolge naturgemässer Anregung, das Licht eines sichtbar leuchtenden Punktes dringt in grösserer Menge ein und erzeugt einen stärkeren Reiz auf der Netzhaut des Sehenden. Auf diese Weise wird das Bild der sichtbaren Gegenstände auf der Netzhaut fehlerhaft verändert, indem die hellen Theile sich ausdehnen und Theile der dunklen Umgrenzung einnehmen. Diesem Bilde auf der Netzhaut entspricht aber genau in der

Anmerkungen des Übersetzers

  1. ‚Tabulae Rudolphinae‘. Ulm 1627. K. O. O. VI. Praec. 133, S. 701. – Mond und Venus in Conjunktion, hier = Bedeckung der Venus durch den Mond.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_176.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)