Seite:Keplers Traum 180.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

was ja mit den weiteren Angäben Mästlins ‚während ein anderes Mal noch weitere 12° bis zu seinem Sichtbarwerden nöthig sind‘ übereinstimmt [7 + 12 = 19].

Herr Geheimrath W. Foerster in Berlin, den ich in dieser Sache um seine Meinung bat, schreibt mir in seiner liebenswürdigen Weise:

„Die mir von Ihnen mitgetheilte Behauptung Mästlins, dass man unter Umständen die erste Mondsichel an dem Abende desselben Tages sehen könne, an welchem man in der Morgenstunde die letzte Sichel gesehen hat, war mir historisch sehr interessant. Ich halte jedoch dieses Vorkommniss für sehr unwahrscheinlich, fast unmöglich, habe auch nie etwas von einer derartigen Beobachtung gehört und glaube daher, dass auch bei Mästlin nur eine deduktive Kombination vorliegt. Ich weiss unter Anderem, dass unser Landsmann, Julius Schmidt in Athen, Beobachtungen dieser Art angestellt hat, um die für die chronologischen Einrichtungen der Alten erhebliche Frage zu lösen, wie weit der Mond von der Sonne entfernt sein muss, um gesehen werden zu können. Aus seinen Mittheilungen hierüber weiss ich, dass unter den günstigsten Verhältnissen mindestens ein Tag seit dem Neumond verflossen, also mindestens etwa 11° Abstand von der Sonne zurückgelegt sein muss, um die Sichel erkennbar zu machen.“

Hiernach würde also zwischen der Angabe Mästlins und derjenigen der neuesten, exacten Forschung immer noch eine Differenz von 4–5° bestehen.

Den ersten Beweis widerlegt Kepler ganz richtig durch die Divergenz der Lichtstrahlen und durch die von ihm experimentell nachgewiesene Erscheinung, dass selbst ein heller, durchscheinender Gegenstand, wenn er einer noch helleren Lichtquelle ausgesetzt wird, Schatten wirft. Wir finden in seiner Ausführung bereits eine ganz richtige Erklärung von der Vergrösserung des Erdschattens, welche bei Mondfinsternissen beobachtet wird und welche einerseits der Wirkung der Refraktion, anderseits dem selbstständigen Schattenwurf der Erdatmosphäre zuzuschreiben ist.

Wichtiger für uns ist der zweite Beweis Mästlins, weil er diejenigen Kriterien enthält, woran die moderne Astronomie gerade den sicheren Beweis für das Nichtvorhandensein einer Mondatmosphäre knüpft. Mästlin meint, dass bei einer Sternbedeckung der Stern bei seiner Annäherung an den hellen Mondrand zunächst wie durch eine helle Umhüllung zu sehen sei und erst dann von dem Mondkörper selbst verdeckt werde. Man kann nur annehmen, dass die diesem Beweise untergelegten Beobachtungen unter irgend einem beirrenden Einfluss gestanden haben, oder dass der Beobachter sah, was er zu sehen wünschte, denn in Wirklichkeit verhält sich die Sache so, dass der Stern plötzlich verschwindet, wie wenn man ein Licht ausbläst, um nach längerer oder kürzerer Zeit ebenso plötzlich an der gegenüberliegenden Seite der Mondscheibe wieder aufzutauchen. Aber noch mehr: bei einer centralen Bedeckung, d. h. bei einer solchen, wo der Mittelpunkt der Mondscheibe genau über den Stern hinweggeht, ist

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_180.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)