Seite:Keplers Traum 181.jpg

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populär ausgedrückt – der Weg, den dieser Mittelpunkt am Himmel in der Zeit von dem Verschwinden bis zum Wiederauftauchen des Sternes zurücklegt, genau gleich dem Durchmesser des Mondes. Hätte nun der Mond eine Atmosphäre, so könnte dies nicht stattfinden, sondern es würde diese Luft auf den Stern wirken, wie unsere Luft, wie überhaupt jedes Gas, nämlich sie würde den Lichtstrahl von seiner Richtung ablenken, ihn brechen. Infolge dieser Strahlenbrechung, der Refraktion, würde der Stern noch sichtbar sein, wenn er in Wirklichkeit schon hinter dem Mondkörper steht und bereits wieder sichtbar sein, wenn er noch davon bedeckt ist. Es müsste also der Weg des Mondmittelpunktes kleiner sein als der Monddurchmesser. Da das aber nicht der Fall ist, kann der Mond auch keine Lufthülle haben, oder nur eine von solcher ätherischer Feinheit, dass sie mit unseren Instrumenten nicht wahrnehmbar ist. Bessel hat durch die sorgfältigsten Untersuchungen gefunden, dass die Mondluft – wenn eine solche angenommen wird – nicht mehr als 1968 von der Dichtigkeit der Erdatmosphäre haben kann.

Hätte Kepler, dem bereits die Erscheinung der Refraktion geläufig war, schon feinere Beobachtungsinstrumente besessen, so würde er ohne Zweifel, den Spiess umdrehend, gerade diesen Beweis Mästlins als Gegenbeweis benutzt haben und ich setze hinzu: hätte der Schwulst althergebrachter Vorstellungen und vorgefasster Meinungen nicht sein Urtheil getrübt, er würde, den Mangel zureichender Werkzeuge durch seinen alles durchdringenden Verstand ersetzend, durch reine Induktion zu dem richtigen Resultat gekommen sein. Zu denken giebt es jedenfalls, dass er diese These Mästlins ohne besonderen Commentar lässt und sich nur mit der summarischen Erklärung begnügt, dass er den Beweis nicht für geeignet hält, um für eine sehr bedeutende Lufthülle Zeugniss abzulegen, und wir erkennen, dass er der Hypothese von der Mondatmosphäre nur bedingungsweise zustimmt.

Während diese beiden Beweise wohl die astronomischen Fachgenossen überzeugen sollten, waren der dritte, vierte und fünfte, weil mehr in die Augen fallend, geeignet, auch das grosse Publikum für die mästlinsche Doctrin zu gewinnen. Wohl Jeder hat die im 4. Beweis geschilderte Erscheinung gesehen und mancher ist wohl nur zu geneigt gewesen, die helle Sichel, die wie die Schale einer Eichelfrucht über den schwachleuchtenden übrigen Theil des Mondkörpers überzugreifen scheint [s. C. 141], für eine wirkliche Erhöhung der Mondoberfläche zu halten. Das ist sie nun aber keineswegs, sondern diese, sowie die in Beweis 5 gegebene Erscheinung ist eine Folge der Irradiation, dem sogn. Ueberfliessen des Lichts, resp. der Refraktion, wovon Kepler in seinen Widerlegungen in so exacter

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Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_181.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)