Seite:Keplers Traum 198.jpg

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seinen Beobachtungen mit einem kleinen, aber verhältnissmässig guten Fernrohr giebt, haben wir das Bedeutendste der selenographischen Forschung damaliger Zeit. Die Grundformen der Mondgebilde hatte er ganz richtig erkannt; ganz richtig giebt er auch die Veränderlichkeit der Schatten an und beachtet auch das allmählige vorherige Auftauchen resp. nachherige Verlöschen der leuchtenden Gipfel der Berge aus beziehungsweise in der Nachtseite des Mondes.

In den Erscheinungen I–X sieht er zunächst eine Bestätigung der von ihm schon früher vermutheten Unebenheit der Mondoberfläche [S. 19, u. u. C. 150]. Denn in der That trifft die Lichtgrenze in der von Kepler angegebenen Stellung des Mondes zur Sonne hell beleuchtete Parthien: im Süden unzählige Krater und Ringgebirge, im Norden u. A. jenes ungeheure Apenninen-Gebirge, dessen Berge ca. 140 km lange Schatten werfen. Die Scheidelinie zwischen Tag und Nacht [Schnittlinie] erscheint infolgedessen zackig und vielfach ausgeschnitten. Kurz vorher dagegen hatte die Lichtgrenze das etwas westlicher liegende Mare Serenitatis getroffen, eine grosse fleckige Parthie, worüber sie in völlig gerader Linie hinwegzieht; s. Fussnote zu V.

Im Weiteren geht Kepler nun zu der Beschreibung der einzelnen Gebilde der Mondoberfläche über, wie ich sie in Taf. II, a–d in schematischer Darstellung zu rekonstruiren versucht habe.

Die Beschreibung der Mondoberfläche und die Gründe der Entstehung der Formen, wie sie dem heutigen Stande der Wissenschaft wohl am zutreffendsten entsprechen, habe ich bereits in C. 150 u. 151 ausführlich besprochen, so dass ich mich hier auf eine einfache Hinweisung darauf beschränken kann.

Wenn Kepler Schlüsse bezüglich der Entstehung der Mondgebilde zieht, die mit unsern neueren, auf eingehenderen und unter ganz anderen Voraussetzungen und Verhältnissen gemachten Beobachtungen gegründeten Ansichten nicht zu vereinbaren sind, so darf uns das, am Ende unserer Betrachtungen, nicht Wunder nehmen; Kepler selbst, wenn er heute unter uns träte, würde der Erste sein, der rückhaltlos seinen Irrthum eingestände. Aber das Eine müssen wir doch anerkennen, dass er in der Unterscheidung zwischen dem, was durch die Thätigkeit vernunftbegabter Wesen und dem, was unter dem unabweislichen Zwang der Elemente entstanden sein musste, Kriterien für die Beurtheilung der Bewohntheit fremder Himmelskörper giebt, die auch heute noch als völlig richtig gelten dürften.

Es ist unzweifelhaft, dass die Seleniten nach diesen Grundsätzen bezüglich unserer Erde verfahren und damit auch zu einem zutreffenden Resultat gelangen würden. Denn die aus der Arbeit vernunftbegabter

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Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_198.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)