Seite:Keyserling Wellen.pdf/228

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morgen geweckt wurde von dem Gesangbuchvers, den mein Wiedertäufer jeden Morgen im Nebenzimmer zu singen pflegt.“

„Ach ja,“ seufzte Doralice, „hier geht alles langsam, langsam.“

„Dafür werden wir gründlich, meine Gnädige,“ meinte Knospelius. „In der Stadt, da lebte ich von zerhackten Erlebnissen, von zerhackten Geschichten und Gedanken, hier erzählt man jede Geschichte ganz bis zu Ende, denkt jeden Gedanken bis in seine letzten Tiefen.“

„Und wird nie mit ihm fertig,“ warf Hans ein.

„Das kommt vor,“ bestätigte Knospelius, „sehen Sie unsere Liebespaare, die da im Dunkeln so still nebeneinander hergehen; sie sprechen am Abend vielleicht drei Worte miteinander; sie haben eben Zeit, sich auszusprechen. Temposachen. Der Inhalt der Liebesgeschichten ist ja immer derselbe, sie verteilen ihn auf einige Jahre, andere müssen in wenig Tagen fertig werden. Temposache, nichts weiter. Da gibt es so ein indisches Märchen von einer seligen Insel; den Leuten dort geht es gut, wie das auf solchen Inseln zu sein pflegt; sie haben alles, was sie wünschen können. Charakteristisch für die Natur dieser schönen Insel ist es, daß die Bäume Mädchen tragen, schöne

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Eduard von Keyserling: Wellen. S. Fischer, Berlin 1920, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Wellen.pdf/228&oldid=- (Version vom 1.8.2018)