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seinen Händen ihre beiden Schultern: „Verstehe ich so langsam?“ fragte er. Das klang weich, fast schüchtern. Doralice bog ihren Kopf zurück, so daß er sich gegen Hansens Brust lehnte. Ihr Herz klopfte sehr stark und die Augen wurden ihr heiß von Tränen. „Du verstehst nicht,“ sagte sie kummervoll, „du sprichst nicht, du sagst nicht.“

„Ach Kind,“ erwiderte Hans, „mit dem Sprechen ist es so eine Sache, man spricht und es klingt hart und sauer und häßlich und ist ungerecht und rücksichtslos und ist doch nicht das, was man sagen wollte.“

„Es kann hart sein, es kann ungerecht und rücksichtslos sein,“ rief Doralice leidenschaftlich, „nur nicht so, nur nicht so! An dieser Gerechtigkeit und an dieser Rücksicht stirbt man.“

Hans beugte sich über sie und küßte sie fest auf die Lippen: „Gut, gut,“ sagte er in seinem gewohnten freundlichen, eifrigen Ton, „so wollen wir uns denn morgen alles sagen, was wir heute dem Meere zugeschrien haben. Für heute gute Nacht.“

Doralice stand noch lange am Fenster und die Tränen, die warm über ihre Wangen niederrannen, taten ihr wohl wie eine gütige Liebkosung. Endlich beschloß sie schlafen zu gehen; sie freute

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Eduard von Keyserling: Wellen. S. Fischer, Berlin 1920, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Wellen.pdf/231&oldid=- (Version vom 1.8.2018)