wie kochende Milch. Sehr aufgeregt waren die Möwen, sie schossen hin und her und stritten sich mit ihren schrillen, keifenden Stimmen. Das war wild und grausam, aber man konnte hier wenigstens atmen. Doralice hörte hinter sich eilige Schritte nackter Füße über den Seetang laufen. Die Steegin war es, die sie einholte und sich ihr anschloß. Sie sprach und klagte unausgesetzt: „Nein, die kommen nicht mehr heraus, die Mutter Wardein sagt das auch. Dort weit muß eine Stelle sein, von der sie nicht mehr zurückkommen. Dort unten müssen Spalten und Höhlen sein oder, was kann man wissen, was sie dort hält. Der Wardein Mathis kam auch nicht heraus.“ Und während die beiden bleichen Frauen eilig am Strande hingingen, schauten sie mit weitoffenen Augen suchend und angstvoll auf das Meer hinaus. Mit einbrechender Dunkelheit mußte die Steegin heim zu ihren Kindern. Doralice entschloß sich nur schwer, ins Haus zu gehen, das Gewaltsame hier draußen erdrückte die Gedanken, dort drinnen wartete das Vermissen auf sie, die Enttäuschung jeden Augenblickes, wenn sie immer wieder aufhorchte und meinte, die bekannte Stimme, der bekannte Schritt müßten sich vernehmen lassen. Und immer wieder
Eduard von Keyserling: Wellen. S. Fischer, Berlin 1920, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Wellen.pdf/242&oldid=- (Version vom 29.9.2021)