Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1812 II 178.jpg

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einen Raben, warum der andere so elend und krank wäre, da sprach der kranke: „weil ich nichts thun wollte und glaubte, die Nahrung käm doch vom Himmel.“ Die beiden nahmen die Raben mit sich in den nächsten Ort, der eine war munter und suchte sich sein Futter, alle Morgen badete er sich und putzte sich mit dem Schnabel, der andere aber hockte in den Ecken herum, war verdrießlich und sah immerfort struppig aus. Nach einer Zeit hatte die Tochter des Hausherrn, die ein schönes Mädchen war, den fleißigen Raben gar lieb, nahm ihn von dem Boden auf, streichelte ihn mit der Hand, endlich drückte sie ihn einmal an’s Gesicht und küßte ihn vor Vergnügen. Der Vogel fiel zur Erde, wälzte sich und flatterte und ward zu einem schönen jungen Mann. Da erzählte er, der andere Rabe wär’ sein Bruder und sie hätten beide ihren Vater beleidigt, der hätte sie dafür verwünscht und gesagt: „fliegt als Raben umher, so lang, bis ein schönes Mädchen euch freiwillig küßt.“ Also war der eine erlöst, aber den andern trägen wollte niemand küssen und er starb als Rabe. – Bruder Liederlich nahm sich das zur Lehre, ward fleißig und ordentlich und hielt sich bei seinem Gesellen.

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 2 (1815). Berlin 1815, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1812_II_178.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)