Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1812 I 035.jpg

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herbeilocken und zum trinken reizen, wer aber davon trank, der ward in ein Rehkälbchen verwandelt. Brüderchen kam bald mit dem Schwesterchen zu dem Brünnlein, und als er es so glitzerig über die Steine springen sah, ward seine Lust immer größer, und er wollte davon trinken. Aber dem Schwesterchen war Angst, es meinte, das Brünnlein spräche im Rauschen und sagte: „wer mich trinkt, wird zum Rehkälbchen; wer mich trinkt, wird zum Rehkälbchen!“ da bat es das Brüderchen, nicht von dem Wasser zu trinken. „Ich höre nichts, sagte das Brüderchen, als wie das Wasser so lieblich rauscht, laß mich nur gehen!“ Damit legte es sich nieder, beugte sich herab und trank, und wie der erste Tropfen auf seine Lippen gekommen war, da lag ein Rehkälbchen an dem Brünnlein.

Das Schwesterchen weinte und weinte, die Hexe aber war böse, daß sie es nicht auch zum Trinken hatte verführen können. Nachdem es drei Tage geweint, stand es auf und sammelte die Binsen in dem Wald, und flocht ein weiches Seil daraus. Dann band es das Rehkälbchen daran und führte es mit sich. Es suchte ihm auch eine Höhle, trug Moos und Laub hinein und machte ihm ein weiches Lager; am Morgen ging es mit ihm hinaus, wo zartes Gras war und sammelte das allerschönste, das fraß es ihm aus der Hand, und das Rehkälbchen war

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1812). Berlin 1812, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1812_I_035.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)