Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1837 V1 262.jpg

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und erblickte den Tod zu ihren Füßen. Er hätte sich der Warnung seines Pathen erinnern sollen, aber die große Schönheit der Königstochter nahm ihn so ein, daß er alle Gedanken in den Wind schlug. Wie zornig und böse ihn der Tod auch ansah, und ihm mit geballter Faust drohte, so änderte er doch die Lage der Kranken, und gab ihr sein Kraut, so daß sich das Leben in ihr neu zu regen anfieng.

Der Tod, der sich zum zweitenmal um sein Eigenthum betrogen sah, trat zu dem Arzt, und sprach „nun folge mir,“ packte ihn hart mit seiner eiskalten Hand, und führte ihn in eine unterirdische Höhle. Da brannten tausend und tausend Lichter in unübersehbaren Reihen, einige groß, andere halbgroß, andere klein. Jeden Augenblick verloschen einige und neue brannten wieder auf, also daß die Flämmchen in beständigem Wechsel hin und her zu hüpfen schienen. „Siehst du,“ sprach der Tod, „das sind die Lebenslichter der Menschen. Die großen gehören Kindern, die halbgroßen Eheleuten in ihren besten Jahren, die kleinen gehören Greisen. Doch haben auch Kinder und junge Leute oft nur ein kleines Lichtchen.“ Der Arzt bat er möchte ihm auch sein Lebenslicht zeigen. Der Tod deutete auf ein kleines Endchen, das eben auszugehen drohte, und sagte „siehst du, da ist es.“ „Ach, lieber Pathe,“ sagte der erschrockene Arzt, „zündet mir ein neues an, thut mirs zu liebe, damit ich meines Lebens genießen kann, König werde und Gemahl der schönen Königstochter.“ „Ich kann nicht,“ antwortete der Tod, „erst muß eins verlöschen, eh ein

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1837). Göttingen: Dieterich, 1837, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1837_V1_262.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)