Tag zur Mittagszeit kam die alte Frau wieder und brachte ihm
Essen und Trinken, aber er wollte es nicht annehmen. Doch sie
ließ ihm keine Ruhe und redete ihm so lange zu bis er wieder einen
Zug aus dem Glase that. Gegen zwei Uhr gieng er in den Garten
auf die Lohhucke und wollte auf die Rabe warten, da empfand
er auf einmal so große Müdigkeit, daß seine Glieder ihn nicht mehr
hielten: er konnte sich nicht helfen, mußte sich legen und fiel in
tiefen Schlaf. Als die Rabe daher fuhr mit vier braunen Hengsten,
war sie schon in voller Trauer und sagte „ich weiß daß er
schläft.“ Sie gieng zu ihm hin, aber er lag da im Schlaf und
war nicht zu erwecken. Am andern Tag sagte die alte Frau was
das wäre? er äße und tränke nichts, ob er sterben wollte? Er antwortete
„ich will und darf nicht essen und nicht trinken.“ Sie stellte
aber die Schüssel mit Essen und das Glas mit Wein vor ihm hin,
und als der Geruch davon zu ihm aufstieg, so konnte er nicht widerstehen
und that einen starken Zug. Als die Zeit kam, gieng er
hinaus in den Garten auf die Lohhucke und wartete auf die Königstochter:
da ward er noch müder, als die Tage vorher, legte sich
nieder und schlief so fest als wär er ein Stein. Um zwei Uhr kam
die Rabe und hatte vier schwarze Hengste, und die Kutsche und
alles war schwarz. Sie war aber schon in voller Trauer und
sprach „ich weiß daß er schläft und mich nicht erlösen kann.“ Als
sie zu ihm kam, lag er da und schlief fest. Sie rüttelte ihn und
rief ihn, aber sie konnte ihn nicht aufwecken. Da legte sie ein Brot
neben ihn hin, dann ein Stück Fleisch, zum dritten eine Flasche
Wein, und er konnte von allem so viel nehmen, als er wollte,
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 2 (1850). Göttingen 1850, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1850_II_049.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)