Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 145.jpg

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Zeichen in den Baum gestoßen wird, ist hier eine Lilie, wie in dem Märchen von den drei Vügelkens (Nr. 96); vergl. die dortigen Anmerkungen. Doch finden wir in einem indischen Volksliede einen ähnlichen Glauben und Gebrauch. Der Mann muß kurz nach seiner Heirath seine junge schöne Frau verlassen. Er pflanzt ein Kewra (Spicanard, Lavendel) in den Garten und heißt sie darauf achten, so lang sie grüne und blühe, gehe es ihm wohl, welke sie aber und sterbe ab, so sei ihm ein Unglück begegnet; s. Broughton selections from the popular poetry of the Hindoos (Lond. 1814) S. 107. Auch in dem persischen Tutinameh (Ikan Nr. 4), die Frau gibt dem Mann einen Blumenstrauß mit auf den Weg, so lange er sich frisch zeigt, ist sie ihm treu geblieben, welkt er, so hat sie eine Untreue begangen.


86.
Der Fuchs und die Gänse.

Aus dem Paderbörnischen. In einer hübschen Fabel bei Burkard Waldis Nr. 87 bittet die Gans erst noch einmal nach Herzenslust tanzen zu dürfen, wie bei Pröhle Märchen für die Jugend Nr. 3. Auch im siebenb. Sachsen wird es erzählt, bei Haltrich Nr. 20. Es ist ein Vexiermärchen, das man auch statt des gewöhnlicheren vom Schäfer erzählt, der viel hundert Schafe über einen breiten Fluß setzen will in einem kleinen Nachen, wo jedesmal nur ein einziges Platz hat. Dieses hat bekanntlich in dem Don Quixote 1. Cap. 20. Cervantes vortrefflich angebracht, und Avellaneda in seiner Fortsetzung (Cap. 21) durch ein ähnliches von Gänsen die über eine schmale Brücke gehen, überbieten wollen. An sich ist es viel älter, schon Petrus Alfonsi erzählt es in der Disciplina clericalis S. 129, und Schmidt gibt in den Anmerkungen weitere Nachweisungen. Man findet es in dem altfranzösischen Castoiement (Méon fabliaux 2, 89–91) und in den novelle antiche Nr. 30. Zu vergleichen ist auch ein artiges plattdeutsches Gedicht in Haupts Zeitschr. 5, 469–512. Eine ähnliche Sage liegt in dem Redner Demades des Aesop (Furia 54. Coray 178) zu Grund. Noch gehört das Sprichwort hierher „wenn der Wolf (das ist hier der Fuchs) die Gänse beten lehrt, frißt er sie zum Lehrgeld (Sailer S. 60)“,

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_145.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)