Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 175.jpg

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hier die hilfreiche alte Frau; sie geht fort und ist erlöst, gleichwie jener stirbt, nachdem er seine Bestimmung erfüllt hat.

Aber nicht blos als arabisches auch als altitalienisches erscheint dieses merkwürdige Märchen bei Straparola (4, 3); eine äußere Ableitung von dorther wendet entscheidend der Umstand ab, daß Straparola längst vor dem Übersetzer der 1001 Nacht lebte. Manches ist bei ihm sogar besser, den Kindern fallen, wenn sie gekämmt werden, Perlen und Edelsteine aus den Haaren, wodurch ihre Pflegeeltern reich werden, dort im arabischen heißt es nur einmal (S. 280) „die Thränen des Kindes sollten Perlen sein“, aber der mythische Zug selbst ist schon untergegangen und hat nur diese Spur hinterlassen. Die Wunderdinge, welche im italienischen verlangt werden, das tanzende Wasser, der singende Apfel und der grüne Vogel kommen mit der 1001 Nacht überein; aber abweichend und begründeter ist, wenn die Schuldigen von welchen die Kinder ins Wasser geworfen waren, bewirken daß die Schwester ihre Brüder zu dem gefährlichen Unternehmen reizt, weil sie hoffen diese sollten dabei umkommen: in der 1001 Nacht bleibt es unerklärt warum die Andächtige die Neugierde der Schwester rege macht. Dagegen kommt das Verbot sich nicht umzusehen ohne Noth bei Straparola vor, da die Strafe in Stein verwandelt zu werden nicht darauf steht. Mit dem italienischen stimmt bis auf Kleinigkeiten und Ausschmückungen bei der Aulnoy la Belle-Etoile (Nr. 22). Eigenthümlich ist das ungarische (bei Gaal Nr. 16), wo alles Böse von der Schwiegermutter ausgeht.

Wichtiger als diese Abweichungen der arabischen und italienischen Sage unter sich, ist es anzuführen wie unsere deutsche in einigem mit dieser, in anderm mit jener übereinkommt: der sicherste Beweis ihrer Unabhängigkeit, wiewohl schon jeder der die Gegend kennte, wo es aufgenommen ist, überzeugt sein würde daß jene fremden Erzählungen niemals dorthin gelangt sind. Mit Straparola stimmt daß die Kinder einen rothen (goldenen) Stern auf der Stirne (altes Zeichen hoher Abkunft, Flamme auf dem Haupt)[1]


  1. Es gibt auch Geschlechter, wo bei jedem Mitglied, wenn es heftig bewegt wird, von Zorn, Schaam, ein scharf gezeichneter rother Blutstreif auf der Stirn sich zeigt; so erzählt es von Pappenheim Schiller in der Gesch. des 30jährigen Krieges.
Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_175.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)