Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 237.jpg

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3) Der König denke er sei der Abt von Canterbury und sei doch nur ein armer Schäfer. In Paulis Scherz und Ernst wird erzählt daß dem Abt von seinem Vogt die Fragen vorgelegt worden, 1) wie hoch er ihn schätze? 2) wo die Mitte der Erde und 3) wie weit Glück vom Unglück entfernt sei? Der Hirt kommt in dem Kleide des Abts und antwortet, 1) acht und zwanzig Silberlinge, weil unser Heiland für dreißig verkauft worden und er den Kaiser zu neun und zwanzig schätze; 2) in seinem Haus, wie beim Pfaffen Amis; 3) nicht länger als eine Nachtzeit sei Glück und Unglück von einander entfernt, denn gestern sei er ein Hirt gewesen, heute aber sei er ein Abt. Damit stimmt die Erzählung in Eyerings Sprichwörter 1, 165–168. 3, 23–25. Wir haben auch die Geschichte von einem König von Frankreich gelesen, die erste und dritte Frage war wie im altenglischen Lied, nur die zweite lautete gleich der in unserm Märchen, wie viel Sterne am Himmel seien. Ein Müller der hier die Antwort gibt, nennt eine große bestimmte Zahl und heißt den König nachzählen. Endlich kommt auch im jüdischen Maasäbuch Cap. 126 (in Helwigs jüdischen Historien Nr. 39) die Sage vor. Einem Rath des Königs werden die drei Fragen vorgelegt, wovon die zwei ersten etwas abweichen, 1) wo die Sonne aufgehe, 2) wie weit es vom Himmel bis zur Erde sei (wie beim Amis). Hierauf folgen durch einen Schäfer die schwachen Antworten, die Sonne gehe gen Morgen auf und gen Abend nieder, und vom Himmel sei es gerade so weit zur Erde als von der Erde zum Himmel. In ähnlichem Geiste enthalten auch die Gesta Romanorum zwei Erzählungen; s. unten den Auszug Nr. 14. Abermals eine andere hat der kurzweilige Zeitvertreiber durch C. A. M. von W. (1668) S. 70. 71. Auch in den Novellen des Franco Sacchetti (um 1370) Nr. 4 kommt das Märchen vor; s. F. W. Val. Schmidt in den Wiener Jahrb. 1822 Bd. 22 Anzeigeblatt S. 54–57. Man vergl. Holzmanns indische Sagen 3, 109 folg. und 1001 Nacht 15, 245. Von der Sitte drei Wahrheiten zu sagen, um sich damit aus der Noth zu helfen, handelt P. F. Müller in den Untersuchungen über Saxo Grammaticus S. 145. In einem serbischen Märchen bei Wuk Nr. 45 überlistet ein Hirte den König durch kluge Antworten. Vergl. Schmidt Taschenbuch der Romanzen S. 83 folg.

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_237.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)