Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 307.jpg

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In den Märchen der Fräulein L’heritier (geb. 1667, gest. 1737), das. Bd. 12, hat eins, Ricdin-Ricdon, eine echte Grundlage. In der Einleitung stimmt es mit dem deutschen Märchen von den Spinnerinnen (Nr. 14) und geht dann über in Rumpelstilzchen (Nr. 55), doch auch hier ist die Überlieferung mit sichtbarem Schaden zu einem kleinen Roman ausgedehnt. In Bd. 5 steht noch eine Sammlung mit dem Titel Les illustres fées, von welcher der Verfasser nicht genannt ist, darin sind zwei Stücke anzumerken, Blanchebelle, mit einem Anklang an das deutsche Märchen die schwarze und weiße Braut (Nr. 135), und der Prinz Guerini, unmittelbar aus Straparola (5, 1) das Geschenk der drei Thiere. Die Zaubergeschichten (Féeries nouvelles) des Grafen Caylus (das. Bd. 24) der in der ersten Hälfte des 18ten Jahrh. schrieb, sind für uns leer und werthlos, und nur in einer, Tourlou und Rirette, kommt ein Stück von einem Märchen vor, der gelbe Vogel überschrieben und als eine moralische Fabel eingerückt. Es enthält den Eingang von den zwei Brüdern (Nr. 60). Eine Zauberin wird in einen gelben Vogel verwandelt und gefangen. Ein Reicher kauft ihn dem Mann ab, der ihn gefangen hat, und da er auf dem rechten Flügel die Worte geschrieben findet „wer meinen Kopf ißt wird König, wer mein Herz ißt hat jeden Morgen, sobald er erwacht, hundert Goldstücke“; so läßt er sich von der Frau des armen Mannes den Vogel braten. Diese gibt aber zufällig Kopf und Herz ihren beiden Knaben zu essen, die darauf vor dem Zorn des Getäuschten entfliehen. Der eine wird seines Reichthums wegen ermordet, der andere kommt in ein Reich, wo man eben über die Wahl eines Königs uneinig ist und auf ein Zeichen wartet. Da sich ihm eine Taube auf den Kopf setzt, so wird er zwar erwählt, doch wegen seiner schlechten Regierung in einem Aufstand ermordet. Es wird daraus die Nutzanwendung gemacht, daß jeder bei seinem Stand bleiben solle, derentwillen aber auch ohne Zweifel diese Entwickelung zugefügt ist. Eine Sammlung von Märchen, Nouveaux contes de fées, deren Verfasser nicht bekannt ist, erschien im Jahr 1718 und noch einmal 1731, und wurde, da beide Ausgaben sich selten gemacht hatten, im Cabinet des fées Bd. 31 wieder abgedruckt. Unter den neun Stücken, aus welchen sie besteht, haben nur drei (das 1te, 5te und 9te) einen haltbaren Grund und mögen aus lebendiger Überlieferung herrühren.

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 307. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_307.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)