Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 336.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Slawen.

Dieser weit ausgebreitete Stamm besitzt eine Fülle von Sagen und Märchen. Besondere Sammlungen davon werden neue Aufschlüsse über die Verwandtschaft der Sagen überhaupt liefern und außerdem, da hier die Literatur noch nicht störend eingewirkt hat, den Inhalt in großer Vollständigkeit erfassen. Einen Blick in den Reichthum der Serbier gewähren einige schätzbare Nachrichten, die Schottky (in Büschings wöchentlichen Nachrichten Bd. 4) gegeben. Er sagt daß man füglich zehn Bände mit serbischen Sagen und Märchen füllen könne, so groß sei ihre Zahl. Sie scheiden sich wie die Lieder in zwei Hauptklassen, in Erzählungen der Männer und Weiber; zu den erstern gehören auch die Märchen. Ein paar, die Schottky mittheilt, sind gerade für uns merkwürdig und wichtig, da sie sich im Deutschen wieder finden. Hier nur ein Auszug.

1. Der Bartlose und der Knabe. Der Vater schickt seinen Sohn mit Getraide in die Mühle, er soll aber da nicht mahlen, wo er den Bartlos (wodurch ein listiger Betrüger angedeutet wird) findet. Als er nun zur Mühle kommt und der Bartlos schon darin mahlt, so geht er zu einer andern Mühle, aber auch hier ist ihm Bartlos zuvorgekommen und hat schon aufgeschüttet. Der Knabe geht zur dritten Mühle, aber Bartlos ist auch schon da. Er entschließt sich nun zu bleiben, und als Bartlos fertig ist, schüttet er sein Getraide auf. Als ein wenig Mehl vorhanden ist, spricht Bartlos „wir wollen von deinem Mehl ein Brot backen, geh und trag Wasser mit hohlen Händen in den Mehlkasten, ich will derweil den Teig machen“. Der Knabe trägt so lange Wasser bis alles Mehl herausgebeutelt ist und Bartlos ein einziges Brot daraus geknätet hat. Dies wird gleich in Asche und Glut gebacken, und als es fertig ist, sagt Bartlos „wer am besten lügen kann, kriegt das ganze Brot“. Bartlos fängt nun an und lügt allerlei untereinander. „Kannst du es nicht besser?“ sagt der Knabe und hebt an, „in meinen jungen Jahren, als ich ein alter Mann war, zählte ich jeden Morgen unsere Bienen; die Bienen konnte ich wohl zählen, aber nicht die vielen Bienenstöcke. Als ich einmal zählte, fehlte der beste Bienrich“[1].


  1. Nämlich der Lüge wegen wird die Biene zu einem Masc. gemacht.
Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_336.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)