Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 364.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

fort, und der Arme gedenkt nie seines verlorenen Sohns. Als der Knabe sieben Jahr alt geworden ist, läßt ihn der Reiche kommen, bringt ihn in die Versammlung des Volks und läßt den Armen rufen. Er erklärt daß seine Krankheit eine Verstellung gewesen sei, um seinen Freund zu prüfen. Er habe den Knaben verlangt um durch sein Blut geheilt zu werden. Der Freund habe ihn gebracht und gesagt „tödte ihn“, er aber habe es nicht gethan, sondern einen Widder geschlachtet. Damit gibt er ihn dem Vater zurück. Alle preisen den treuen Freund. Es ist die alte weit verbreitete, mannigfach gestaltete Sage von den beiden Blutsfreunden, die sich gegenseitig das Liebste opfern; sie liegt dem Märchen von dem treuen Johannes (Nr. 6) zu Grund, kommt aber auch noch in orientalischen Erzählungen vor. Mit milderem Sinne wird hier das Kind nicht wirklich getödtet wie in andern Auffassungen, und es ist kein Wunder zu seiner Wiederbelebung nöthig.

Die zweite Erzählung soll zeigen wie der Hochmuth bestraft werde. Ein hoher Geistlicher und ein Heide leben in innigster Freundschaft, aber der Geistliche verschmäht auf einer Fahrt nach Mecca die Begleitung des Heiden, der hinter ihm herzieht. Dem Heiden wird der Eintritt in die Moschee gestattet, dem Geistlichen versagt, weil er seinen Freund verleugnet hat. Als sie wieder nach Haus gekommen sind, erkranken nach einem Monat beide und sterben an einem Tag. Sie sollen nahe nebeneinander begraben werden. Das Grab des Heiden ist leicht zu graben in sandigen Boden, in welchem sich unten Wasser befindet. Als man aber das Grab des Geistlichen zu graben beginnt, stößt man bald auf Felsen, und so jedesmal, wenn man eine andere Stelle wählt. Der Geistliche wird endlich in ein solches Grab gelegt, kann aber nur halb bedeckt werden: der Heide liegt tief und wohl bedeckt, das Wasser dringt herauf und flutet darüber, und er ist allein in den Himmel gekommen.

Das dritte Märchen erzählt von einem Diener Gottes der ein einäugiges Weib hat und ein Pferd. Er versteht die Sprache der Thiere des Waldes, der Vögel die vorbeifliegen, der Hyäne, wenn sie Nachts in die Nähe der Wohnungen kommt und schreit, des Pferdes, wenn es hungrig ist und wiehert, dem er dann Gras holt. Eines Tags hört er was vorbeifliegende Vögel sprechen und lacht darüber. Sein Weib fragt ihn nach der Ursache. „Ich darf es dir nicht sagen“ antwortet er. „Ich weiß schon,“ antwortet sie, „du lachst weil ich

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_364.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)