Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 381.jpg

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vom Jahr 1811. S. 239. 240) war diese Überlieferung schon mit einigen Abweichungen bekannt. Hier einiges von den Schicksalen des ersten Indianers. Er klettert Tage lang an einem Sonnenstrahl hinauf, bis er zu dem großen Tagesstern gelangt, und wirbt um dessen schöne Tochter. Von der Mutter begünstigt, gewinnt er ihre Neigung, aber der König des Lichts verschmäht die Vermischung seines Geschlechts mit den Geschöpfen der Erde. Als die Folgen des heimlichen Verständnisses offenbar werden, wirft er beide zornig vom Himmel herab, doch die Mutter läßt sie unverletzt auf die Erde nieder fallen, wo sie ein glückliches Leben führen und ihre Nachkommen sich ausbreiten. Dieses Märchen zeigt im Gang der Ereignisse einige Ähnlichkeit mit andern, bei uns bekannten, wo ein kühner Jüngling sich in die Behausung des Teufels oder eines andern bösen Geistes begibt, um etwas von ihm zu erlangen: eine gutmüthige Alte fördert sein Vorhaben und läßt ihn glücklich entrinnen; doch das ist nur eine allgemeine, in natürlichen Verhältnissen begründete Übereinstimmung. Ich will aus einer andern Überlieferung die zu den bedeutendsten gehört und am besten den Gehalt dieser Märchen erkennen läßt, einige Züge mittheilen. Der erste Mensch, der alte Chappewee, findet auf der Erde weder Männer noch Weiber noch Kinder. Er schafft Kinder und gibt ihnen zweierlei Früchte, weiße und schwarze, verbietet ihnen aber von den schwarzen zu essen. Da die Erde noch nicht von den Strahlen der Sonne erleuchtet ist, so geht er fort die prächtige Scheibe zu holen. Nach langer Abwesenheit bringt er sie herbei, und sie beginnt nun ihr glänzendes Licht gewisse Stunden hindurch über die Erde auszuströmen. Mit Freude bemerkt er daß seine Kinder nur von den weißen Früchten gegessen, mithin Krankheit und Tod noch keine Gewalt über sie erlangt hatten. Aber die Sonne leuchtet nicht zu aller Zeit: der Alte geht abermals fort um die Lampe der dunkeln Stunden, den Mond herbei zu holen. Als er sie herbei bringt, merkt er gleich an den Augen der Kinder daß sie von der verbotenen Frucht genossen haben. Er ist nicht ohne Schuld, denn ehe er weggieng hatte er vergessen, sie mit einem Vorrath von weißen Früchten zu versorgen und der Hunger sie gezwungen von den schwarzen zu genießen. Jetzt kommt Krankheit und Tod in die Welt, Miswachs, Mühseligkeit und Qual. Chappewee sieht mehr als zwanzig Geschlechter verschwinden, er selbst ist dem Tod nicht unterworfen. Hundertmal sind ihm die Zähne ausgefallen und neue gekommen, ebenso oft haben

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_381.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)