Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 391.jpg

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schon ein volles Jahr verflossen.“ Jetzt steigt er von dem Maulthier und fordert seinen Zahnstocher: als er damit stochert, fallen zwei bis drei Menschen aus seinem Rachen. Die Frau muß ihm sein Essen bringen, eine Schüssel mit geschmorten Menschenfingern. Nach der Mahlzeit setzt sie sich auf seinen Schoß und spricht „wenn ich allein im Hause bin, und der verruchte Gesser kommt und will mich tödten, so möchte ich dich gleich davon benachrichtigen, aber die Burg hat keinen Ausgang.“ „Ich sage dir nichts,“ antwortet der Riese, „der Mensch ist in drei Dingen ungewis, einen Strauch rechnet er nicht zu den Bäumen, einen Sperling nicht zu den Vögeln und ein Weib nicht zu seinen Freunden; ich will nicht.“ Sie besänftigt ihn indessen und legt sich nieder. Er lacht und heißt sie näher sich legen, dann nimmt er sie in seine Arme und spricht „hier hast du zwei goldne Ringe, lege den einen beim Ausgang auf die Nasenspitze, stecke den andern beim Eingang an den kleinen Finger, so wird das Thor der Burg sich öffnen. Wenn ich sage daß ich nach Osten gehe, so bedeutet das nach Westen.“ Sie fragt „wie willst du Gesser besiegen, wenn er herkommen sollte?“ Der Riese antwortet „wenn der Nichtswürdige kommen sollte, werde ich ihn nicht mit dem kleinen Finger tödten können? Es befinden sich vorwärts von meinem Haus drei verschiedene große Seen, herwärts davon ein fünffaches Schilffeld. Am Ufer des nächsten Sees rennen zwei Stiere, ein weißer und ein schwarzer, um die Wette. Am Morgen siegt der weiße, Gessers Schutzgeist, am Mittag der schwarze, mein Schutzgeist: wenn er meinen Schutzgeist tödten sollte, so kann er auch mich tödten. Weiterhin steht eine große Burg, darin wohnen meine drei jüngeren Schwestern: sie sitzen gewöhnlich auf dem Wipfel von neun rothen Bäumen. Wenn er diese tödten sollte, so kann er mich auch überwältigen. Links davon befinden sich drei große Seen, an welchen drei Hirschkühe spielend umher laufen. Zur Zeit der Mittagshitze kommen sie aus dem Wasser und legen sich ausruhend neben einander am Ufer nieder. Wenn er alle drei mit Einem Pfeilschuß zu durchbohren vermag, dann den Leib der mittlern Hirschkuh aufreißt und eine darin befindliche große kupferne Nadel entzwei bricht, so könnte er mich tödten. Rechts ab liegt eine Burg, wo eine ältere Schwester von mir in magischer Verwandlung wohnt, diese bewahrt einen großen Käfer, welchen sie mir seit meiner Geburt noch nie gezeigt hat, wenn er diese beiden, die meine Seele sind, tödtet, so könnte er vielleicht auch mich tödten. Dies ist das Ende

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_391.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)