Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 402.jpg

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jeder Art die Krankheit zu entfernen. Auf der Erde verändert sich alles, die Kräuter wachsen nicht mehr, die Pflanzen verlieren den Geschmack, die Thiere schwinden hin und die Menschen nähern sich dem Untergang. Die Götter, als sie vernommen haben was geschehen ist, begeben sich zu Dakscha und bitten um Erbarmen, „bis auf einen schmalen Streif,“ sagen sie, „ist der ganze Mond aufgezehrt, die Kräuter, Gräser und Pflanzen verderben, die Thiere schwinden dahin und alles Leben wird vergehen, endlich auch die Götter, was bleibt der Welt dann übrig?“ Der Herr der Welt erwidert „den Fluch kann ich nicht aufheben, aber ich kann ihn beschränken, wenn der Mond künftig bei allen seinen Frauen wohnt, so soll nur in der Hälfte des Monats die Schwindsucht Macht über ihn haben: er soll in die heilige Flut Saraswati sich tauchen, das wird ihn stärken daß er in der andern Hälfte wieder wächst.“ Der Mond gehorcht indem er bei jeder seiner siebenundzwanzig Frauen einen Tag weilt. Einen halben Monat nimmt er ab, verschwindet dann im heilenden Bad, und mit neuer Kraft gestärkt nimmt er den andern halben Monat zu. Auch ein Beispiel von dem Übergang des Märchens in die lehrhafte Fabel, der in der schwächern Erzählung von Pantchatantra (S. 175) noch mehr hervortritt. Während der König Usinara ein Opfer bringt, kommt eine schüchterne Taube in seinen Schooß geflogen und fleht ihn um Beistand gegen den Habicht an, der sie verfolgt. Der Habicht fordert die Taube zurück, da ihn der König der Speise nicht berauben dürfe, auf die er angewiesen sei. Usinara weigert sich, aber der Habicht besteht auf seinem Recht, werde ihm seine Nahrung versagt, so verurtheile er ihn, Weib und Kind zum Tod. Vergeblich bietet der König Stiere, Eber, Hirsch und Büffel an, der Habicht kann sie nicht zur Nahrung brauchen. „Wohlan,“ spricht der Habicht, „gib mir von deinem eigenen Fleisch so viel als die Taube wiegt.“ Der König schneidet sich selbst das Fleisch aus dem Leib, aber die Taube ist schwerer: er schneidet sich noch mehr Fleisch aus, aber das Gewicht der Taube bleibt immer größer. Endlich steigt der König selbst auf die Wage. Da spricht der Habicht „ich bin Indra, der König des Himmels, und die Taube ist des Feuers Gott, wir sind gekommen deine Tugend zu prüfen, frommer Fürst. Daß du dir das Fleisch von den Gliedern des Leibes geschnitten hast, das wird dir unvergänglichen Ruhm auf der ganzen Welt bereiten.“ Noch eines Stückes aus Mahabharata muß ich hier gedenken, der ebenso zarten als tiefsinnigen Dichtung von Nalas und

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_402.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)