Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1857 I 014.jpg

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Am andern Morgen, als es ruchbar ward, riefen alle Leute laut „die Königin ist eine Menschenfresserin, sie muß verurtheilt werden,“ und der König konnte seine Räthe nicht mehr zurückweisen. Es ward ein Gericht über sie gehalten, und weil sie nicht antworten und sich nicht vertheidigen konnte, ward sie verurtheilt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Das Holz wurde zusammengetragen, und als sie an einen Pfahl festgebunden war und das Feuer rings umher zu brennen anfieng, da schmolz das harte Eis des Stolzes und ihr Herz ward von Reue bewegt, und sie dachte „könnt ich nur noch vor meinem Tode gestehen daß ich die Thür geöffnet habe,“ da kam ihr die Stimme daß sie laut ausrief „ja, Maria, ich habe es gethan!“ Und alsbald fieng der Himmel an zu regnen und löschte die Feuerflammen, und über ihr brach ein Licht hervor, und die Jungfrau Maria kam herab und hatte die beiden Söhnlein zu ihren Seiten und das neugeborne Töchterlein auf dem Arm. Sie sprach freundlich zu ihr „wer seine Sünde bereut und eingesteht, dem ist sie vergeben,“ und reichte ihr die drei Kinder, löste ihr die Zunge, und gab ihr Glück für das ganze Leben.

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1857). Göttingen 1857, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1857_I_014.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)