Seite:Kinder und Hausmärchen Grimm 1843 I 289.jpg

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sondern kroch unter eins, legte sich auf den harten Boden, und wollte die Nacht da zubringen. Als aber die Sonne bald untergehen wollte, hörte es ein Rauschen, und sah daß sechs Schwäne zum Fenster hereingeflogen kamen. Sie setzten sich auf den Boden, und bliesen einander an, und bliesen sich alle Federn ab, und ihre Schwanenhaut streifte sich ab wie ein Hemd. Da sah sie das Mädchen an, und erkannte ihre Brüder, freute sich, und kroch unter dem Bett hervor. Die Brüder waren nicht weniger erfreut als sie ihr Schwesterchen erblickten, aber ihre Freude war von kurzer Dauer. „Hier kann deines Bleibens nicht sein,“ sprachen sie zu ihm „das ist eine Herberge für Räuber, wenn die heim kommen, und finden dich, so ermorden sie dich.“ „Könnt ihr mich denn nicht beschützen?“ fragte das Schwesterchen. „Nein,“ antworteten sie, „denn wir können nur eine Viertelstunde lang jeden Abend unsere Schwanenhaut ablegen, und haben in dieser Zeit unsere menschliche Gestalt, aber dann werden wir wieder in Schwäne verwandelt.“ Das Schwesterchen weinte, und sagte „könnt ihr denn nicht erlöst werden?“ „Ach nein,“ antworteten sie, „die Bedingungen sind zu schwer. Du darfst sechs Jahre lang nicht sprechen und nicht lachen, und mußt in der Zeit sechs Hemdchen für uns aus Sternenblumen zusammennähen. Kommt ein einziges Wort aus deinem Munde, so ist alle Arbeit verloren.“ Und als die Brüder das gesprochen hatten, war die Viertelstunde herum, und sie flogen als Schwäne wieder zum Fenster hinaus.

Das Mädchen aber dachte in seinem Herzen es wollte seine Brüder erlösen, und wenn es auch sein Leben kostete.

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1843). Göttingen 1843, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1843_I_289.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)