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hat. Gar so leicht wurde es dem Kinde nicht, von selbst gehen zu lernen in einer Welt, die sich ihm feindlich gegenüberstellte, und die Ablösung von der Nabelschnur, die ihn in den Eltern mit dem Bürgertum verband, geschah nicht ohne Krämpfe und Schmerzen. Er hatte Feinde „ringsum“. Seine wilde Leier wünschten Tausende ins Feuer, „denn sie rasselt allzuscharf“. Wie ein von allen gemiedener räudiger Hund lief er oft einsam durch Deutschlands Straßen. Da übermannte ihn wohl öfter die Verzweiflung, daß er zu sterben wünschte, da Leonore ihn selbst verlassen. Aber er reißt sich wieder empor, die Tränen versiegen, die Faust ballt sich:

Ich will hoffen, Hoffnung siegt.

Und abends, auf der Dorfstraße, wenn er ein schönes Mädchen am Zaun stehen sah, da konnte er wieder lächeln. Er lächelte und lachte ihr und sang ihr zu:

Schönen Kindern Liebe singen
Ist das Amt der Poesie,

und reichte ihr galant den Arm und spazierte mit ihr in den Wald oder auf den Kirchhof, und auf den Gräbern der Toten blühten die Küsse der Lebenden und Liebenden wie Jasmin und Tulipan.

Und gelangt er bei seiner Wanderung in eine Universitätsstadt, versammelt er eine Genossenschaft junger trunkener Menschen um sich und singt ihnen das schönste deutsche Studentenlied:

Brüder, laßt uns lustig sein,
Weil der Frühling währet ...

Sein Lorbeer grünt, wie er selber sang, auf die Nachwelt hin. Sein Name dringt durch Sturm und Wetter der Ewigkeit ins Heiligtum.

Mit Günther gleichaltrig ist der Ostpreuße Johann Christof Gottsched (1700–1766), der der deutschen Literatur mit professoraler Weisheit und deutend erhobenem Zeigefinger: dies darfst du! und: dies darfst du nicht! auf die Beine helfen wollte.

Empfohlene Zitierweise:
Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_029.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)