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im Schlosse irgendeines Rokokofürsten, fanden nicht Gnade vor ihren Augen. Sie ziehen ihn der Sittenlosigkeit, der Undeutschheit und traten seine Dichtungen mit Füßen oder verfertigten sich aus seinen reizenden Perioden Fidibusse, mit denen sie ihre Knasterpfeifen entzündeten, und Don Sylvio von Rosalva, der Jüngling Agathon und die zärtliche Musarion gingen wehklagend und seufzend in Flammen auf. Hatten die Hainbündler recht, dem armen Wieland so übel mitzuspielen? Doch wohl nicht. Im Grunde war er ihnen verwandter als sie ahnen oder fühlen konnten. Auch er war ein Schwärmer wie sie – aber er ging nicht wie sie durch eine, er ging durch tausend Schwärmereien hindurch und war vom Pietisten bis zum Wollüstling, vom Hetärenpriester bis zum Anbeter der mütterlichen Frau so ziemlich alles, was man sein kann. Was seine vielen Wandlungen verklärt: er war alles mit der gleichen Leidenschaft und Wahrhaftigkeit. Als Lyriker hatten die Hainbündler für Wielands Kunst der Erzählung kein Verständnis. Sein großer Roman Agathon (1766), die Entwicklung eines Menschen zu sich selbst, in einem stark stilisierten Altgriechenland sich begebend, wird immer ein Markstein in der Entwicklung der deutschen Prosadichtung sein, die auch durch den komischen Roman Die Abderiten (1780), eine Verspottung des Spießertums, eine Bereicherung empfing. Goethe weihte von allen Schriften Wielands dem Heldenepos „Oberon“ (1780) den Lorbeer, und zwar im wörtlichsten Sinne: nach seinem Erscheinen sandte er ihm einen Lorbeerkranz. Der „Oberon“ ist das erste Werk, das man neben Mahler Müllers „Genoveva“ den Auftakt der Romantik noch mitten in der Klassik nennen könnte. Abendland und Morgenland gehen so phantastisch ineinander über, wie die wirkliche und die Geisterwelt.

Unter den Hainbündlern waren einige, die zwar nominell ihm nahestanden, innerlich aber ganz dem Sturm und Drang zugerechnet werden müssen. Unter ihnen ist vor allem

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Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_037.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)