Seite:Klabund Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde 055.jpg

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Volk begriff ihn nicht. Bittere Worte fand er für die Deutschen, die bittersten, die ihnen wohl je von einem Deutschen aus liebender Seele gesagt worden sind (im vorletzten Briefe des Hyperion an Bellarmin). Als Hölderlin 1803 aus Bordeaux zurückkehrte, wo er eine Hauslehrerstelle verwaltet hatte, erschien er den Freunden verwirrt und wie auseinandergefallen. Er gab über das Erlebnis, das ihn wie mit einem Eisenhammer auf die Stirn geschlagen hatte, keine Auskunft. Diotima starb zehn Tage nach seiner Rückkehr. Er mag im medizinischen Sinne wahnsinnig geworden sein. Er hat aber immer eine tiefe Klarheit des Gefühls bewahrt und behalten. Es war ihm einfach der Nabelstrang zerrissen, der ihn mit der Realität verband. Er schwebte in den Wolken und wußte von dieser Erde nur noch gerade so viel, wie ein verklärter Geist, der von ihr erlöst und nun auf eigenem Gestirn wandelt. Die Gedichte aus seiner sogenannten Wahnsinnszeit gehören zum Dunkelsten, aber zum Tiefsten, was aus der deutschen Lyrik entsprossen ist: schwarze Rosen, Blumen der Passion.


Als die Klassiker ihre Tempelbauten errichteten, da kroch nach und nach viel Winde und Epheu die dorischen Säulen empor: viel Epigonentum, das den steilen Weg zum Himmel, den sie gestemmt, benutzen wollte. Es gab aber auch Zimmerer und Maurer, die bauten trotzig ihre prosanen Häuser neben die Hallen der Hehren; können wir’s nicht im großen, so wollen wir’s ihnen im kleinen gleich tun und wenigstens im kleinen eigen sein. Oder sie bauten, wie die Klassiker, nach oben in den Himmel, nach unten in die Erde hinein: sie rissen die Erde auf und legten Stollen und Gänge an: das Geheimnis des Dunkels und des Halbdunkels ward entdeckt. Jene waren Sonnen, diese Goldsucher. Bei diesen Bergwerksarbeiten gelangten sie dann nebenher zu allen möglichen Erkenntnissen, die sie

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Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_055.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)