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Der alte Kopisch saß mit seiner roten Nase in unserer Korona auf dem Schloßberg von Heidelberg, hob mit der einen Hand den goldgefüllten Römer, mit der anderen den Zeigefinger und sprach warnend: „Trinkt kein Wasser, Kinder! Ihr kennt die Geschichte von der Sintflut? Trinkt kein Wasser,

dieweil darin ersäufet sind
all sündhaft Vieh und Menschenkind ...“

Daß der leichtblütige und leichtsinnige Kopisch der beste Freund des schwermütigen und schwerblütigen Grafen Platen (aus Ansbach, 1796–1835) war, erscheint verwunderlich. Aber vielleicht hatte Platen Kopisch nötig wie Kopisch – den Wein. Um sich in der Misere seines Lebens mit Heiterkeiten hin und wieder zu betrinken. Platens Schicksal war die Männerfreundschaft und Knabenliebe. Er suchte Adonis, ohne ihn zu finden. Seiner inbrünstigen Sehnsucht nach einem Echo seines Herzens verdanken wir die schönsten deutschen Sonette. In Syrakus ist er gestorben, vielleicht, wie er einst sang, im Arme des endlich gefundenen Götterjünglings.


Es gibt ein Wort: Nur wer wahrhaft schlecht gewesen ist, kann wahrhaft gut werden. Buddha selber muß in einem früheren Leben einmal ein Mörder gewesen sein. Niemand sehnt sich so brennend nach Erlösung wie der Unreine, der Verfehmte, wie der Verbrecher, der seines Verbrechens sich bewußt wird. Friedrich Hebbel, ein Bauernsohn aus Dithmarschen (1813 bis 1860), war vielleicht das, was man einen bösen Menschen nennt. Von Dämonen gehetzt brach er, ein verhungerter Wolf, an dem man jede Rippe einzeln zählen konnte, in die Lämmerweide der deutschen Dichtung ein. Jedes Mittel war ihm recht, seinen geistigen Hunger zu stillen. Er brach Eide und verriet Frauen, die ihn liebten, und ohne die er krepiert wäre – um der Idee zu dienen. Er war ein armer Schächer[1], ans Kreuz

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Als Schächer (altes Wort für Räuber) werden die beiden Verbrecher bezeichnet, die zusammen mit Jesus Christus gekreuzigt wurden
Empfohlene Zitierweise:
Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_068.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)